Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 19. Das Auf tauchen des „Sohar 
§ 5o). Überdies waren im „Sohar“ selbst hier und da Anspielungen auf 
die in den nächsten Jahrhunderten (vom XIV. bis zum XVII.) zu er 
wartenden messianischen Wunder und Zeichen verstreut: auf den be 
vorstehenden Zusammenbruch von Reichen und Nationen, auf den 
Triumph Israels, auf die Rückkehr ins Heilige Land und schließlich 
auf das große Wunder der Totenauferstehung. 
So trat gegen Ende des XIII. Jahrhunderts aus einem mysteriösen 
Dunkel dieses seltsame Ruch hervor, ein Gemisch von Metaphysik und 
mystischen Wahnideen, das später zur ßibel der Kabbalisten werden 
sollte. Gar viele waren des Glaubens, daß Moses de Leon in der 
Tat Abschriften eines zu seinen Lebzeiten zutage geförderten echten 
Manuskripts des R. Simon ben Jochai in Umlauf gebracht hätte; 
andere wieder hielten es für wahrscheinlicher, daß Moses das Werk 
zwar selbst geschrieben, jedoch kraft seiner Seelen Verwandtschaft mit 
dem alten Tannaiten (dank der Kunde des „Schern ha’koteb“) das 
Buch mit vollem Recht diesem in den Mund gelegt hätte; noch andere 
glaubten nichts als eine plumpe Fälschung vor sich zu haben. Gleich 
nach dem Ableben des Moses de Leon wurde denn auch der Versuch 
gemacht, der Frage über die Echtheit des „Sohar“ auf den Grund zu 
gehen. Ein reiches Gemeindemitglied in Avila bot der dort in ärm 
lichen Verhältnissen lebenden Witwe des Verschiedenen für die Ur 
schrift des „Sohar“, die angeblich ihrem Gatten Vorgelegen habe, 
einen hohen Preis an; die schlichte Frau erwiderte jedoch, daß ihr 
Mann keinerlei Handschriften kopiert, sondern alles „aus dem Kopfe“ 
geschrieben hätte. Andererseits bezeugte indessen der Freund des Ver 
storbenen Joseph ben Todros Abulafia, daß er verschiedene von Moses 
angefertigte Abschriften verglichen hätte und daß sie alle wörtlich 
miteinander übereinstimmten. 
Der Streit über den wahren Ursprung des rätselhaften Werkes, das 
als neue Offenbarung gelten wollte, dauerte auch in den folgenden 
Jahrhunderten fort, namentlich nachdem es im Judentum eine mäch 
tige mystisch-messianische Bewegung ausgelöst hatte. Der Streit drehte 
sich um das Dilemma, ob der „Sohar“ in der Tat im II. Jahrhundert 
im Geiste des galiläischen Eremiten konzipiert worden oder das Er 
zeugnis eines elf Jahrhunderte später wirkenden Kabbalisten sei. Die 
Geschichtswissenschaft lehnt indessen eine solche Fragestellung von 
vornherein ab und sucht das Problem in derselben Weise zu lösen, wie 
sie es in bezug auf andere kollektiv geschaffene Apokryphen zu tun 
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