Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

Die geistigen Strömungen im XIII. Jahrhundert 
in den nachgeordneten Sphären veranschaulicht Allatif durch geome 
trische Analogien: Gott verhalte sich zur Welt, wie etwa der Punkt zur 
Linie. — Ein Zeitgenosse des Allatif, Joseph Gikatilla (gest. um 
i3o5), neigte eher zu der „arithmetischen“ Methode in der Kabbala: 
in dem Werke „Ginath egos“ („Der Nußgarten“) beschäftigte er sich 
mit kabbalistischen Wortbildungen und Berechnungen („Zerufim“), 
die er mit den einzelnen Sefiroth in Verbindung brachte. Er galt über 
dies als ein Meister in der Beschwörungskunst und auch als „Wunder 
täter“. 
Die Kabbala beschränkte sich indessen nicht allein auf Wesens 
schau und Spekulation; sie ließ auch begeisterte Schwärmer auf kom 
men, die auf den prophetischen, ja auf den messianischen Beruf An 
spruch erhoben. Ein solcher hemmungsloser Schwärmer war Abraham 
Abulafia aus Saragossa (um 12[\o—1291), dem ein ziemlich kurzes, 
aber sturmbewegtes Leben beschieden war. Schon in seiner Jugend 
unternahm er eine Reise mit dem abenteuerlichen Zweck, die jenseits 
des legendären Stromes Sambation lebenden zehn Stämme Israels auf 
zusuchen, eine Reise, die ihn nach Italien, Griechenland und Palästina 
führte. In Italien begeisterte er sich für die Philosophie und las meh 
rere Male hintereinander den „Führer“ des Maimonides. Nach Spa 
nien zurückgekehrt, gab er sich dem Studium der Kabbala hin. „In 
meinem einunddreißigsten Lebensjahr, als ich in Barcelona weilte — 
so erzählt Abulafia —, wurde ich durch göttlichen Willen aus meinem 
Schlummer erweckt und vertiefte mich in das ,Buch der Schöpfung 4 
(„Sefer Jezira“) samt Kommentaren, und der Geist Gottes kam über 
mich und ich schrieb gelehrte Bücher, darunter auch Werke prophe 
tischen Inhalts. Mein Geist wurde wach, denn es regte sich in mir der 
Heilige Geist, und ich erschaute viele wunderbare Gesichte . . . Und 
ich erblickte allerlei seltsame Phantasiegebilde und meine Gedanken 
verwirrten sich, denn niemand war da, mich auf den rechten Weg zu 
weisen, und fünfzehn Jahre lang war ich wie ein Blinder, der am 
hellichten Tage nach seinem Wege tastet. Der böse Geist verfolgte 
mich und ich war nahe daran, über all den Dingen, die ich erschaute, 
den Verstand zu verlieren“. In einem solchen Zustande der Exaltation 
erfand Abulafia seine eigene kabbalistische Theorie, die von der 
Sefiroth-Lehre in vielen Punkten wesentlich abweicht. Er erweckte 
die Grundidee des „Buches der Schöpfung“ zu neuem Leben, nach 
der das Wort Gottes die Welt vermittels der zweiundzwanzig Buch 
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