Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes in Europa (5, Europäische Periode ; Das späte Mittelalter ; 1927)

§ 18. Kabbala und messianische Schwärmerei 
Einer der ersten kabbalistischen Schriftsteller war der Oberrabbi 
ner von Kastilien, der „Nassi“ Todros Abulafia aus Sevilla (gest. 
1283), der am Hofe des kastilischen Königs Alfons X. als Arzt oder 
Finanzmann eine hohe Stellung einnahm. Ein Neffe des bekannten 
Feindes der Philosophie Meir Abulafia, machte es Todros auch seiner 
seits den Rationalisten zum Vorwurf, daß sie sich anmaßten, die 
Gottheit auf dem Wege logischen Denkens zu erfassen und die gött 
lichen Gebote nach ihrer sinnfälligen Zweckmäßigkeit zu beurteilen; 
empörend fand er es unter anderem, daß die Philosophie die Existenz 
der bösen Geister in Abrede stellte. Todros selbst huldigte der An 
sicht, daß die letzte Wahrheit nur vermittels der übermenschlichen, in 
der Kabbala enthaltenen Weisheit zu erreichen sei. Zur Bekräftigung 
der Lehre von den Sefiroth und der Seelen Wanderung pflegte er sich 
auf die talmudische Haggada zu berufen und verfaßte in dieser Ab 
sicht, schon im Greisenalter stehend, ein Buch unter dem Titel ,,Ozar 
ha’Kabod“ („Schatz der Herrlichkeit“), wo bereits manche im „Sohar“ 
wiederkehrende Sätze zu finden sind 1 ). 
Halb Metaphysiker, halb Mystiker war der Zeitgenosse des Abu 
lafia Isaak Allatif (gest. um 1290), der Verfasser mehrerer, von den 
Kabbalisten hochgeschätzter Werke („Zurath ha’olam“, „Schaar ha’- 
schamaim“ u. a.). Allatif vertritt den Standpunkt des mystischen Pan 
theismus: „Die absolute Übersinnlichkeit des göttlichen Wesens und 
seine Allwissenheit zeugen davon, daß Gott in allem und alles in Gott 
sei“. Die Selbstoffenbarung der Gottheit in der Welt der Geister und 
1 ) Die biographischen Mutmaßungen von Graetz (VII, 188 und Note 12) be 
dürfen nach den neuesten Forschungsergebnissen mancher Berichtigung. Vor allem 
hat sich die von Zacuto im „Jochassin“ wiedergegebene Nachricht bestätigt, wo 
nach Todros Abulafia im Jahre 12 83 und nicht erst im Jahre i3o4 gestorben 
ist. Ferner wirkte er am Hofe des kastilischen Königs Alfons X. und nicht an 
dem seines Nachfolgers Sancho IV. Eben als Gefolgsmann des Alfons mochte 
Abulafia seine Reise nach Perpignan gemacht haben, wo ihn Abraham Bederesi 
als einen Fürsten der Dichtkunst feierte. Die Verhaftung und Verurteilung des 
Abulafia, von der Gavisson in „Omer ha’schikcha“ zu berichten weiß, stand wohl, 
ebenso wie der Untergang des Don Zag de Malea (oben, § 9), mit dem von Sancho 
gegen seinen Vater angezettelten Aufstand in Zusammenhang. In allerjüngster Zeit 
ist ein völlig unversehrtes Manuskript des „Diwan“ des Todros Abulafia zu- 
tage gefördert worden, das nahezu tausend Gedichte enthält und zur Zeit in 
London publiziert wird. — S. Baer in „Debir“ II, 3i4; Scholem in „Kiriath 
Sefer“ I, 168 und „Kitbe ha’Universita bi’Jeruschalaim“ I, 26; Gaster, The 
Diwan of Todros Abulafia, in der Londoner Wochenschrift „The Jewish Guardian“ 
1926, Nr. 35i. 
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