Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes im Orient (3, Orientalische Periode / 1926)

§ il. Das antijudaistische Element im Neuen Testamente 
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kennzeichnen auch die Bücher des „Neuen Testaments“ eher das 
Zeitalter, in dem sie verfaßt sind, als dasjenige, das den Gegenstand 
ihrer Darstellung bildet. 
Den drei dem Inhalte nach verwandten synoptischen Evangelien 
lag zweifellos eine gemeinsame Urquelle zugrunde in Form einer 
Sammlung von Aussprüchen Christi und von Legenden aus seinem 
Leben, die noch im Zeitalter der Apostel abgefaßt worden war und 
uns nicht mehr erhaltengeblieben ist. Die Sammlung enthielt ver 
mutlich die auf gezeichneten „Logoi“ oder Sentenzen Jesu, die später 
hin den Evangelien Matthäus und Lukas als Vorlage dienten, ferner 
eine volkstümliche Lebensbeschreibung Christi, die dann der Kern 
des Markusevangeliums wurde, und schließlich jenes „Judenevan 
gelium“ in hebräischer oder aramäischer Sprache, das im II. Jahr 
hundert unter den Judenchristen Palästinas Verbreitung fand 1 ). Die 
auf Grund all dieser Quellen abgefaßten kanonischen Bücher des 
Neuen Testaments, die uns in griechischer Sprache überliefert worden 
sind, stellen bereits künstlich zusammengefügte Literaturerzeugnisse 
dar, deren Schöpfer nicht nur zu erzählen, sondern auch zu bewei 
sen und ihre Überzeugungen und Glaubenssätze vor jeder Anzweif 
lung sicherzustellen suchen: es sind dies Werke der Apologetik. In 
dessen dürfen auch hierin die Gradunterschiede im Sinne einer grö 
ßeren oder geringeren Distanz von der Wirklichkeit und von der 
ursprünglichen Volksauffassung nicht übersehen werden. 
Den Urquellen am nächsten steht das „Markusevangelium“, aller 
Wahrscheinlichkeit nach das älteste der erhaltengebliebenen evangeli 
schen Bücher, in dem der Lebenswandel Jesu mit einem geringeren 
Phantasieaufwand und etwas weniger tendenziös dargestellt ist als 
in den anderen Büchern. Johannes-Markus, ein geborener Palästinen 
ser, der den beiden angesehensten Aposteln, Petrus und Paulus, nahe 
stand, verfaßte sein Buch in griechischer Sprache, anscheinend für 
die christliche Kolonie in Rom. Die Darstellung des Lebens Jesu 
beginnt hier erst mit seiner Taufe im Jordan durch Johannes den 
Täufer. Die übernatürliche Geburt Jesu, die als ein Wahrzeichen sei 
ner gottmenschlichen Natur später erfunden wurde, wird im Markus 
evangelium mit keinem Worte erwähnt. Für den Verfasser ist er 
!) Dieses Evangelium kannten noch die Kirchenväter des IV. Jahrhunderts und 
es wird namentlich von dem heiligen Hieronymus erwähnt.
	        
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