Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes im Orient (3, Orientalische Periode / 1926)

Die Diaspora und das Zentrum in Babylonien 
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Es war dies eine stolze, gegen das Heidentum in allen seinen x\b- 
arten gerichtete Herausforderung, gegen all „die Gespenster und das 
Nichts“, die sich ebensogut hinter der Mystik der Christologie wie 
hinter der altersschwachen Abgötterei oder der persischen Feuer 
anbeter-Religion verbargen. Zugleich kommt aber hierin auch der 
erhabene messianische Traum des Judentums zum, Ausdruck: „daß 
die Welt (das ganze Menschengeschlecht) im Reiche des Allmächti 
gen vollkommen werde“. In diesem Hymnus, der für die christliche 
Kirche der späteren Jahrhunderte zu einem Vorwände für Judenver 
folgungen wurde, klingt das Nationale im Universalen aus. Von der 
gleichen universalistischen Stimmung sind auch die übrigen Hymnen 
aus derselben Reihe getragen, die alle von messianischer Sehnsucht, 
von einem leidenschaftlichen Herbeisehnen des Gottesreiches auf Er 
den durchdrungen sind 1 ). 
Von der Wirksamkeit des Rab als eines haggadistischen Predigers 
zeugen seine uns erhaltengebliebenen zahlreichen ethischen Sentenzen. 
Hier einige Proben davon: „Die Thoragebote bezwecken nur die sitt 
liche Reinigung des Menschen“; „Wer kein Mitleid mit dem Nächsten 
empfindet, ist nicht von Abrahams Stamm“; „Der Vater soll nie ein 
Kind dem anderen vorziehen: der Erzvater Jakob hat seinen Lieb 
lingssohn Joseph den anderen Kindern vorgezogen — und wie 
schlimm waren die Folgen!“ Jegliche physische Arbeit, namentlich 
aber die Feldarbeit, schätzte Rab sehr hoch: „Lieber ein kleiner Acker 
— sagte er einst zu seinem Sohne — als ein großes Warenlager“; 
„Besser, daß du krepiertes Vieh auf dem Markte schindest und dei 
nen Lohn dafür empfängst, als daß du mit Selbstüberhebung 
sprichst: Priester bin ich, ein Vornehmer bin ich“. Seine demokra 
tische Gesinnung tritt unverkennbar in dem folgenden Ausspruch zu- 
!) In diesen Hymnen tritt das Rosch-ha’schana-Fest besonders eindrucksvoll 
als der Tag des göttlichen Gerichts über die Menschen (Jom ha’din) hervor, an 
dem alle von dem Menschen im Laufe des Jahres vollbrachten guten und bösen 
Taten abgewogen werden. Der Geschichtsschreiber der mündlichen Lehre, J. H. 
Weiß, der gerade hinsichtlich dieses Teiles der Neujahrshymnen die Verfasser 
schaft Rabs voll anerkennt, hebt treffend hervor, daß hierbei der alte Streit über 
die Bedeutung des „Erinnerungstages“, wie das Neujahrsfest in der Bibel genannt 
wird, zuerst seine praktische Lösung gefunden hat. Seitdem ist diese Vorstellung 
von dem alljährlich wiederkehrenden „Gerichtstage“, mit dem auch noch das Jom- 
Kippur-Fasten in Zusammenhang gebracht wurde, von allerlei volkstümlichem Glau 
ben überwuchert worden, so daß sich diese feierlichen Tage dadurch schließlich 
in „Schreckenstage“ (Jomim noroim) verwandelten.
	        
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