Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes im Orient (3, Orientalische Periode / 1926)

Die Diaspora und das Zentrum in Babylonien 
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erste über eine viel größere Machtvollkommenheit, die überdies einen 
viel weltlicheren und mehr politischen Charakter hatte. In Persien, wo 
jede Provinz von einem besonderen Satrapen regiert wurde, war der 
Exilarch eine Art Satrap des jüdischen Stammes, der in den wichtig 
sten Bezirken der Provinz Babylonien auch in der Tat den Kern der 
Bevölkerung bildete. Doch war dies gleichsam eine erbliche Satrapie: 
die Regierung sah in diesem Falle davon ab, die einzelnen Träger die 
ser Würde zu ernennen, und beschränkte sich darauf, die sich vom 
Vater auf den Sohn vererbende Macht zu sanktionieren. Der Exilarch 
zählte seinem Range nach zu den höchsten Würdenträgern im Reiche, 
was auch in seiner besonderen Tracht, dem seidenen Überwurf mit 
goldenem Gürtel, zum Ausdruck kam. Von Zeit zu Zeit wurde er in 
feierlicher Audienz vom Könige empfangen. Am persischen Neujahrs 
tage pflegte er diesem eine bestimmte Geldsumme als Ehrengabe zu 
überreichen, die aber eigentlich nur eine obligatorische Steuerentrich 
tung bedeutete. In späterer Zeit lebten die Exilarchen mit fürstlicher 
Pracht, sie hatten ihren eigenen Hofstaat, ein besonderes Ehren 
gefolge, eine zahlreiche Dienerschaft und pflegten in Luxuswagen 
durch die Stadt zu fahren. Die Einkünfte des Exilarchen setzten sich 
aus besonderen Natural- und Geldabgaben zusammen, die von den jü 
dischen Gemeinden in Babylonien entrichtet wurden. In den öffent 
lichen Versammlungen erwies man dem Exilarchen die seiner Würde 
gebührenden Ehren. Unter anderem war es Sitte, ihm in den Syna 
gogen beim Thoraverlesen die Thorarolle zu seinem Platz zu bringen, 
während alle anderen bei dieser Gelegenheit die Kanzel zu besteigen 
hatten. An den Feiertagen brachten ihm große Volksscharen ihre 
Glückwünsche dar. Die Residenz des Exilarchen war in dieser Zeit 
periode fast immer Nehardea. 
Die Funktionen des Exilsfürsten waren überaus mannigfaltig. Er 
galt vor allem als der Oberrichter der babylonischen Juden, sowohl 
in zivil- als in strafrechtlichen Sachen. Die wichtigsten Rechtsstreitig 
keiten pflegte er selbst zu entscheiden, während er für die gewöhn 
liche Rechtspflege einzelne Ortsrichter ernannte. Zugleich war er der 
höchste jüdische Verwaltungsbeamte: als solcher überwachte er die 
öffentliche Sicherheit in den von Juden bewohnten Städten, sowie den 
Handel auf den Märkten, und übte die Aufsicht über richtiges Maß 
und Gewicht aus, wozu er besondere Kontrolleure (Agoranomen) er 
nannte. Der Exilarch hatte in bezug auf die ihm unterstellte Bevöl
	        
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