Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes im Orient (3, Orientalische Periode / 1926)

§ 27. Die Exilarchen 
189 
suche, in Babylonien ein unabhängiges Synhedrion zu gründen, ein 
gewisser Würdenträger Achia oder Nechunja zur Seite, der, wie es 
scheint, das Amt eines Exilarchen bekleidete. Um dieselbe Zeit über 
siedelte ein Familienangehöriger des babylonischen Exilarchen, der 
Gelehrte R. Nathan, nach Palästina und trat das Amt des Stellver 
treters des judäischen Patriarchen Simon ben Gamaliel II. an (§ 17). 
Es machte sich damals sogar eine Tendenz bemerkbar, mit der Würde 
des palästinensischen Patriarchen irgendeinen Vertreter des babyloni 
schen Exilarchengeschlechts zu betrauen. Aus diesem Grunde eben 
mochte der erwähnte Nathan für das Amt eines „Nassi“ in Betracht 
gekommen sein, und selbst dem großen Patriarchen Jehuda ha’Nassi 
schien die Rivalität der babylonischen Abkömmlinge der „Davidischen 
Dynastie“ nicht ungefährlich zu sein. Babylonischer Exilarch war 
nämlich zu dieser Zeit (um 200) Mar-Huna 1 ), der sich mit dem 
Plane trug, Palästina zu besuchen. Als nun der Patriarch Jehuda da 
von Kenntnis erhielt, erklärte er, wie die Überlieferung wissen will, 
daß er dem hohen Gast, als einem Nachkommen des Königs David 
in gerader männlicher Linie, alle Ehren zu erweisen bereit sei. Dar 
auf soll eines Tages sein Jünger, der Babylonier Chija, zu ihm mit 
der Nachricht geeilt sein, der Exilarch Huna sei bereits eingetroffen; 
der Patriarch wurde blaß vor Aufregung, doch stellte sich bald her 
aus, daß man nur einen Sarg mit den irdischen Überresten des Huna 
gebracht hatte, um ihn, seinem letzten Willen gemäß, im Heiligen 
Lande zu bestatten. Aus alledem ist zu ersehen, daß die Exilarchen 
zu Beginn des III. Jahrhunderts, d. i. gegen Ende der Periode der 
parthischen Herrschaft, auch weit über die Grenzen Babyloniens hin 
aus als Führer des Volkes durchaus anerkannt waren. Seitdem zieht 
sich die Kette der „Diasporafürsten“ im Morgenlande durch acht 
Jahrhunderte hindurch ununterbrochen hin. Die Dürftigkeit des Ur 
kundenstoffes macht es nicht immer möglich, die Aufeinanderfolge 
der dieses hohe Amt bekleidenden Persönlichkeiten mit chronologi 
scher Sicherheit zu bestimmen, doch stoßen wir überall auf die Spu 
ren ihrer Wirksamkeit, die sich nicht selten mit dem Wirken der 
hervorragenden, im Talmud verewigten Gesetzeslehrer aufs engste be 
rührt. 
Die Würde des babylonischen Exilarchen entsprach, wie bereits 
erwähnt, der Würde des Patriarchen in Palästina, doch verfügte der 
1) „Mar“ bedeutet auf aramäisch soviel wie „Herr“.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.