Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes im Orient (3, Orientalische Periode / 1926)

Die Diaspora und das Zentrum in Babylonien 
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Ausdrucksweise zufolge, den eines Exilarchen, d. i. „Oberhaupt der 
Exulanten“ oder Diasporafürst, führte. In den Volksüberlieferungen 
wird die Entstehung des Exilarchats in die uralte Zeit des babyloni-» 
sehen Exils zurückverlegt. Die alte Überlieferung stellt nämlich die Be 
hauptung auf, daß schon seit jener fernen Zeit die in Babylonien zu 
rückgebliebenen Judäer ihre eigenen, dem Königshause Davids ent 
stammenden Oberhäupter besaßen, und zwar Nachkommen des von 
Nebukadrezzar in die Gefangenschaft abgeführten judäischen Königs 
Jojakin sowie seines Enkels Serubbabel. Da die babylonischen Juden 
noch lange ihre alte Benennung „Bne ha’gola“ oder einfach „Gola“ (Ex 
ulantengemeinde) beibehielten, so hießen demgemäß auch ihre Ober 
häupter „Rosche-Gola“ oder aramäisch „Resche-Galuta“. Die Glaub 
würdigkeit der Überlieferung von einer ununterbrochenen Reihe von 
Exilarchen aus dem Geschlechte Jojakins und Serubbabels, die wäh 
rend der ganzen Periode der altpersischen und parthischen Herr 
schaft an der Spitze der babylonischen Diaspora gestanden haben 
sollen, mag, was die Einzelheiten betrifft, allerdings in Zweifel ge 
zogen werden, doch scheinen dabei zwei Hauptpunkte geschichtlich 
durchaus verbürgt zu sein: erstens daß das Exilarchat, dessen Re 
präsentanten erst im III. Jahrhundert d. ehr. Ära durch ihr öffent 
liches Wirken unzweifelhaft in den Umkreis der Geschichte traten, 
in Wirklichkeit schon viel früher bestand; zweitens daß die Exilar 
chenwürde tatsächlich in einem bestimmten Geschlechte, das sich von 
der judäischen Königsdynastie Davids herleitete, erblich war. 
In der Epoche des zweiten Judäa,, bis zur Katastrophe des Jahres 
70, bleibt das Leben der babylonischen Judenheit, als einer weit ab 
seits liegenden Kolonie, noch in völliges Dunkel gehüllt, und so sind 
uns aus dieser Zeit gar keine Nachrichten über die Wirksamkeit ihrer 
Führer erhaltengeblieben: es ist dies die vorgeschichtliche Periode 
des Exilarchats. Dieser in Dunkel gehüllte Zeitraum währt bis zum 
Aufstand des Bar Kochba, und erst nach diesem neuen Zusammen 
bruch., als große Scharen von Exulanten wieder einmal aus Judäa 
nach Babylonien strömten, heben sich die Nebel der Vorgeschichte, 
von denen die transeuphratische Diaspora bis dahin umhüllt war. 
Nunmehr beginnen die Exilarchen, wenn auch vorerst in verschwom 
menen Umrissen, als diejenigen Würdenträger hervorzutreten, die 
ihrem Range nach den Patriarchen Palästinas nicht nachstanden. So 
stand z. B. dem aus Judäa gekommenen Chananja bei seinem Ver-
	        
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