Volltext: Die Geschichte des jüdischen Volkes im Orient (3, Orientalische Periode / 1926)

Palästina im 111. Jahrhundert 
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der Gottesfurcht“ (Berachoth, 33), d. h. alles ist vorausbestimmt mit 
Ausnahme der sittlichen Handlungsweise, die der freien Wahl des 
Menschen überlassen ist. Chanina war auch mit der Heilkunst ver 
traut und ein Gegner aller Zauber- und Wunderheilmittel. Als Be 
rater des Patriarchen in geistigen Dingen wurde er einst mit einem 
anderen Gelehrten, Josua ben Levi, von dem römischen Statthalter 
in Caesarea in Audienz empfangen. Der Statthalter soll sich ehr 
erbietig vor den Gesetzeslehrern erhoben haben, und als man in seiner 
Umgebung verwundert fragte, warum er denn „diesen Judäern“ eine 
so hohe Ehre erweise, erwiderte er: „Sie erscheinen mir wie Engels 
gestalten“. 
Der eben erwähnte Josua ben Levi besaß seine eigene Schule „im 
Süden“, d. h. im eigentlichen Judäa, in der Stadt Lydda. In den nach 
dem Aufstande des Bar Kochba verödeten Städten des Südens scheint 
nunmehr neues Leben erblüht zu sein. Dort lebten und lehrten einige 
von den Schülern des Jehuda ha’Nassi. Josua ben Levi sparte keine 
Mühe, um auch in den dortigen jüdischen Gemeinden Ordnung zu 
schaffen; von Zeit zu Zeit unternahm er in Gemeindeangelegenheiten 
Reisen nach Caesarea zum Statthalter. Auch soll er einmal, der Über 
lieferung zufolge, nach Rom gereist sein. Im Süden Palästinas spielte 
Josua die Rolle eines Stellvertreters des Patriarchen, und nahm sich 
sogar das Recht, Rabbiner und Richter in den einzelnen Gemeinden 
zu ernennen. In der Sage erscheint er als ein in die Geheimnisse der 1 
messianischen Zeit und des Lebens im Jenseits eingeweihter Seher: 
in Rom soll er den Messias selbst, als dieser im Stadttore mitten unter 
Siechen, die ihre Wunden verbanden, saß, gesehen und erfahren ha 
ben, daß der Messias sich offenbaren werde, sobald die Menschen den 
Weg der Gerechtigkeit eingeschlagen haben würden. Einen realeren 
Hintergrund verrät eine andere Erzählung über Josua ben Levi. Er 
habe nämlich in Rom gesehen, wie man Marmorbildsäulen mit kost 
baren Teppichen umwickelte, um sie vor Regen und Sonne zu schüt 
zen, und wie zugleich die Bettler halbnackt umherirrten, ihre Blöße 
kaum mit Lumpen bedeckend. Voll Entrüstung rief er, den Psalmen- 
vers (36, 7) parodierend, aus: „Deine Gnade erstreckt sich bis auf 
die mächtigen Felsen, deine Grausamkeit aber reicht bis zur Abgrund 
tiefe“, d. h. Rom ist voll zarter Sorge um Steine, läßt aber die Men 
schen in die Tiefen des Elends versinken. Im Mittelalter galt Josua 
ben Levi als Verfasser einer Apokalypse, in der die von ihm im
	        
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