Volltext: Die alte Geschichte des jüdischen Volkes (2, Orientalische Periode / 1925)

Judäa unter der Seleucidenherrschüft 
58 
ihr alle Güter dieser Welt opfern, Qualen erdulden und ihr Leben 
hingeben, nur um dem treu zu bleiben, was ihnen als wahr und heilig 
gilt. Lieber das Leben einbüßen, als den Sinn des Lebens — dies ist 
der Wahlspruch, der von nun ab Tausende von Gläubigen und von 
der Wahrheit ihres Glaubens Überzeugten dazu bewegt, um ihrer re 
ligiösen, nationalen und politischen Ideale willen am Galgen, auf dem 
Schafott oder auf dem Scheiterhaufen einen qualvollen Tod zu er 
leiden. Das jüdische Märtyrertum nimmt seinen Anfang in den Ta 
gen des Antiochus Epiphanes . . . 
Allein das bedrängte Volk begnügte sich nicht mit lediglich pas 
siver Resistenz. Aus seinen Reihen gingen auch Männer hervor, die 
sich zum aktiven Kampfe rüsteten, zu der großen Abrechnung für die 
mit Füßen getretenen Rechte der Nation, für die entweihten Heilig 
tümer, für alle Opfer der syrischen Willkürherrschaft. Diese mutigen 
Patrioten, besonders aus der Partei der „Chassidäer“, verließen Jeru 
salem und die großen Städte, wo der Feind triumphierte, und wandten 
sich in die Wüste, verbargen sich in den Höhlen und Bergschluchten 
Judäas. Von Zeit zu Zeit kamen sie aus ihren Verstecken hervor und 
schlichen sich auf Umwegen in die Städte und Dörfer. Hier fachten 
die umherwandernden Volksredner die Regeisterung der Massen an, 
festigten ihren Glauben und ermunterten die Zaudernden, riefen zum 
heiligen Kriege gegen die heidnischen Gewalttäter auf und bereiteten 
so den Roden für eine allgemeine Volkserhebung. Ganz Judäa war in 
Gärung geraten. Die Tyrannei des Antiochus erweckte von neuem die 
schlummernde Energie des Volkes, das während der vier Jahrhunderte 
seit dem Auf stand gegen Nebukadrezzar sich das Waffenhandwerk ab 
gewöhnt hatte. Das Maß der Qualen der jüdischen Nation war übervoll 
und nun schickte sie sich an, sich gegen ihre Peiniger zu erhe 
ben 1 ). 
!) Ein moderner hellenenfreundlicher Geschichtsschreiber behauptet, daß die 
Juden in der Epoche des Antiochus „noch nicht reif für den Hellenismus waren“ 
(Wellhausen, Israelitische und jüd. Geschichte, 6. Aufl. 1907, 2 53). Der deutsche 
Geschichtsforscher wiederholt hier in milderer Form den gehässigen Satz des römi 
schen Judenfeindes Tacitus (Hist. V, 8), daß Antiochus den Juden bessere Sitten 
statt ihres „Aberglaubens“ beibringen wollte, um „das schlechte Volk besser zu 
machen“. Diese Übereinstimmung der Ansichten entspricht aber wohl kaum den 
abschließenden Betrachtungen Wellhausens im letzten Kapitel desselben Buches, wo 
darauf hingewiesen wird, daß die hellenische Welt erst zwei Jahrhunderte später 
für die Erfassung des jüdischen ethischen Monotheismus, allerdings in seiner christ 
lichen Form, reif geworden war.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.