Volltext: Die alte Geschichte des jüdischen Volkes (2, Orientalische Periode / 1925)

Anhang 
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bereitung des Christentums berufen war, nach der Erfüllung dieser Mis 
sion als eine Nation vom Schauplatz verschwinden sollte und nur als 
eine religiöse Gemeinde, als der Gärstoff des Monotheismus in der heid 
nischen Welt fortleben dürfte. 
Derselbe Yorwurf kann auch dem wissenschaftlich mehr bedächtigen 
Wellhausen nicht erspart bleiben. In seiner gedrängten „Israelitischen und 
jüdischen Geschichte“ wird ein Bild entrollt, wie das alte Israel den 
Berg hinaufsteigt und wie Juda nach dem babylonischen Exil den Berg 
hinunterrutscht, bis es schließlich gleichsam in einen dunklen Abgrund 
herabstürzt, just in dem Augenblick, als am Horizont der Geschichte die 
Sonne des Christentums auf geht. Was die neuesten deutschen, das Juden 
tum der griechisch-römischen Epoche schildernden Geschichtsschreiber an- 
belangt, so scheint bei ihnen gleichsam der Judenhaß des alten Geschichts 
schreibers Tacitus noch nachzuklingen. Der aller jüngste Historiker des 
Christentums, Ed. Meyer, der der Zeitgeschichte nachgehend, einen gan 
zen Band dem Judentume gewidmet hat (den zweiten Band des Werkes 
„Ursprung und Anfänge des Christentums“, Berlin, 1921), führt zustim 
mend die gehässigen Ausfälle des Tacitus gegen die „die Götter verach 
tende“ Nation an (II, 277, 3o4). In diesem Werke, in dem neben will 
kürlichen Hypothesen überaus glückliche Lösungen umstrittener Fragen 
anzutreffen sind, läßt sich der verdienstvolle Verfasser der „Geschichte 
des Altertums“ manchmal zu vulgären Charakteristiken des Judentums 
ganz nach antisemitischer Art hinreißen. 
So kam mit der neuesten wissenschaftlichen Literatur eine sonder 
bare oppositionelle Historiographie zur Entstehung, in der die moder 
nen Geschichtsschreiber gegen einen nationalen Entwicklungsprozeß im 
Judentum polemisieren, der sich zwei Jahrtausende früher abgespielt hat. 
Nur die freidenkenden jüdischen Geschichtsschreiber, die diesen Prozeß 
begreifen oder unmittelbar nacherleben können, vermochten es, ihn, un 
abhängig von der religiösen Dogmatik, mehr oder weniger zutreffend 
zu würdigen. In dem dritten Bande seiner „Geschichte“ (in der vervoll 
ständigten Ausgabe vom Jahre 1888) stellt Graetz die Geschichte seines 
Volkes in der vorchristlichen Epoche mit viel mehr Objektivität als alle 
nicht jüdischen Forscher dar, und verhält sich sogar dem ursprünglichen 
Christentum gegenüber viel unparteiischer als die freidenkenden christ 
lichen Historiker gegenüber dem damaligen Judentum. In der aller jüng 
sten Zeit legte eine solche Objektivität auch der jüdische Historiker Jo 
seph Klausner an den Tag in seinem Werke „Jeschu von Nazareth“ 
(Jeschu ha’nozri, Jerusalem, 1922) sowie in den drei Bänden seiner 
„Vorlesungen über jüdische Geschichte“ (Historia Israelith, Jerusalem, 
1924), die die Epoche der Hasmonäer, der Herodianer und des Falles 
Judäas umfassen. 
Neben das umfangreiche geschichtskritische Werk des christlichen Theo 
logen Schürer tritt nunmehr ein ergänzendes jüdisches Seitenstück. Die 
zweibändige, zu Beginn des Weltkrieges erschienene Untersuchung des 
Pariser Rechtsgelehrten Jean Juster: Les juifs dans l’empire Romain,
	        
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