Volltext: Die alte Geschichte des jüdischen Volkes (2, Orientalische Periode / 1925)

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§ 10b. Die Spaltung in Juden- und Heidenchristen 
des Fleisches und der Dualismus von Fleisch und Geist war der Ethik 
des Judaismus durchaus fremd, die nicht das Ideal der Unterdrückung 
fleischlicher Triebe, sondern das ihrer vernünftigen Einschränkung oder 
„Heiligung“ durch das höchste sittliche Ziel proklamierte. Dieser Ge 
gensatz zeigte sich auch in dem verschiedenartigen Verhalten beider 
Lehren zu der Ehelosigkeit, an der Paulus in seinem persönlichen 
Leben festhielt und die er als Ideal für auserlesene Naturen hin 
stellte, wie auch zu der Ehescheidung, die von Paulus, im Gegensatz 
zu dem humanen jüdischen Gesetz, verboten wurde. 
Nachdem Paulus in Griechenland und Kleinasien (in der Stadt 
Ephesus u. a.) eine weitgehende Propaganda entfaltet hatte, begab 
er sich von neuem nach Jerusalem (5g), um der dortigen Christen 
gemeinde die von ihm für sie gesammelten Spenden zu übergeben. 
Hier harrten aber seiner große Unannehmlichkeiten. Gleich nach sei 
ner Ankunft in Jerusalem wurde Paulus von seinen Freunden ge 
warnt, man sei in der Stadt gegen ihn aufs äußerste wegen der Ge 
rüchte aufgebracht, er hätte nicht nur die Heiden, sondern auch die 
Juden der Diaspora „gelehrt, von Moses abzufallen, und gesagt, sie 
sollten ihre Kinder nicht beschneiden und das Gesetz nicht befol 
gen“ 1 ). Die Freunde rieten ihm, zusammen mit einigen Frommen, 
die ein Gelübde der Reinigung getan hatten, in den Tempel zu gehen 
und dort das übliche Opfer darzubringen, damit sich alle überzeuge 
ten, daß er das Gesetz halte. Doch diese Vorsichtsmaßregel nützte 
nichts. „Juden aus Asien“ (Kleinasien), die von den Predigten des 
Paulus in der Diaspora gehört hatten, begannen, als sie ihn im Tem 
pel sahen, zu schreien: „Dies ist der Mensch, der alle? Menschen an 
allen Enden lehret wider dies Volk, wider das Gesetz und widei^ 
diese Stätte (wider den Tempel)“. Das Volk geriet in Erregung. Man 
stürzte sich auf Paulus und stieß ihn zum Tempel hinaus. Auf den, 
Lärm hin eilte der Hauptmann der römischen Garnison herbei und 
ließ Paulus, den er für einen falschen Propheten und Unruhestifter 
!) Die hier wie auch unten in Anführungszeichen wiedergegebenen Sätze 
sind der Erzählung der „Apostelgeschichte“ (Kap. 21—26) entnommen, in der bei 
aller Tendenz der Darstellung der wahre Grund der Yolksempörung gegen Paulus 
klar hervortritt. Unverhohlen erscheint hier auch die Verlegenheit des Apostels 
selbst, der angesichts der Gefahr seinen Antinomismus zu mildern und mitunter 
sogar in Abrede zu stellen bestrebt war. Die Schilderungen der Procuratoren und 
Agrippas II. zeichnen sich in diesem Bericht durch besondere Präzision aus, so 
daß seine geschichtliche Grundlage uns zweifellos erscheint.
	        
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