Volltext: Die alte Geschichte des jüdischen Volkes (2, Orientalische Periode / 1925)

Die Entstehung des Christentums 
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der Nation in gar keinem Zusammenhang. Die Religion ist dem Men 
schen, nicht aber dem Volke gegeben; sie soll kein Werkzeug der 
gesellschaftlichen Zucht sein. Der ganze von der jüdischen Geschichte 
zurückgelegte Weg ist ein Weg der Sünde, ein Weg der Verleugnung 
des Himmelreiches um des irdischen Reiches willen. Es gilt, einen 
neuen Weg zu betreten, es gilt, den Menschen ohne die Vermittlung 
des Kollektivs Gott unmittelbar nahe zu bringen. Diese Umwälzung 
naht heran, das „Himmelreich“ steht vor der Tür. Bald wird auch 
der Messias erscheinen, aber nicht, um die Nation zu erretten, son 
dern um die menschliche Seele zu erlösen. Er wird eine neue Offen 
barung verkünden und die glaubenerfüllte Persönlichkeit zu neuem 
Leben erwecken. — So sprach der „Vorläufer“ des Messias, ihm 
folgte bald der „Messias“, der Erlöser, selbst, und dann kamen die 
Apostel des neuen Glaubens. Seine ersten Verkünder waren bestrebt, 
das Vermächtnis der individuellen Religiosität innerhalb des Juden 
tums selbst zu erfüllen; ihre Nachfolger gingen aber weiter: sie 
glaubten, die Zeit sei gekommen, die universalistische Potenz des Ju 
daismus in Aktualität umzusetzen, sei es auch durch Preisgabe seiner 
geschichtlichen nationalen Form, ja sogar auf dem Wege eines dog 
matischen Kompromisses mit der Weltanschauung des Heidentums. 
In der Entwicklung des ursprünglichen Christentums sind drei 
verschiedene Phasen zu unterscheiden: i. die Phase der Vorbereitung 
und des persönlichen Asketismus; 2. die Phase der Offenbarung und 
des inneren Bruches mit dem nationalen Judaismus; 3. die Phase der 
Propaganda und der formellen Lossagung vom nationalen Judentum. 
Die erste Phase repräsentierte Johannes der Täufer, die zweite Je 
sus Christus, die dritte der Apostel Paulus. Johannes verkündete das 
Herannahen des „Himmelreiches“, Jesus brachte vom Himmel eine 
Lehre „nicht von dieser Welt“ herab, und Paulus zog daraus die prak 
tischen Konsequenzen für diese Welt. 
Die ersten zwei Gestalten scheinen vielen eher Ideensymbole als 
geschichtliche Persönlichkeiten zu sein. Doch folgt ihre reale Existenz 
aus dem ganzen Zusammenhang der Tatsachen und der Stimmungen 
dieser Epoche, und ihre Wirksamkeit steht mit dem geschichtlichen 
Prozeß durchaus in Einklang. Die Gestalten des Johannes und des 
Jesus verlieren sich ebenso in dem Nebel von Legenden wie die 
Gestalten vieler Glaubenslehrer, die keine schriftlichen Denkmäler 
ihrer Wirksamkeit hinterlassen haben. In klareren Umrissen tritt uns
	        
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