Volltext: Die alte Geschichte des jüdischen Volkes (2, Orientalische Periode / 1925)

§ 95. Die Propaganda des Judaismus und die Proselyten 
Antiochia strömten zum jüdischen Gottesdienst in den Synagogen 
große Massen von Heiden herbei. „Sie (die Juden von Antiochia) — 
berichtet derselbe Zeitgenosse — zogen zu ihrem Glauben eine große 
Menge Hellenen heran und machten sie gleichsam zu einem Bestand 
teil ihrer Gemeinde“. Besonders gern nahmen die Frauen das jüdische 
Gesetz an, was in der größeren Leichtigkeit der für sie geltenden 
Übertrittsform (das Fehlen des Beschneidungsritus) seinen Grund ha 
ben mochte. So bekannten sich in Damaskus viele Frauen zum Juden 
tum, und sie waren es, die ihre heidnischen Männer während der Ju 
denhetzen in den Jahren 66—67 von Gewalttaten gegen die Juden 
zurückhielten. Es unterliegt gar keinem Zweifel, daß der Brauch der 
Beschneidung als des Symbols des Eintritts in den „Bund Abrahams“ 
der Bekehrung der Heiden zum Judentum am meisten im Wege stand. 
Hätten sich die geistigen Führer des jüdischen Volkes zu jener Zeit 
entschlossen, den neubekehrten Erwachsenen diese Operation zu erlas 
sen und sie nur für deren künftige Kinder als verbindlich zu erklären, 
so wären dem Judentum im Laufe der Zeit Millionen neuer Bekenner 
zugeströmt. 
In Kleinasien drangen Elemente des Judaismus in jenes bunte Ge 
misch der orientalisch-hellenischen Kulte, das den charakteristischen 
Zug diesei Ländergruppe bildete, in der der Prozeß der Orientalisie- 
rung des Hellenismus mit besonderer Intensität vor sich ging. Hier 
herrschte ein religiöser Synkretismus vor. Die Baale und Astarten des 
alten Kanaan, die griechischen Adonis (Tammus der Semiten) und 
Aphrodite, die phrygischen Attis und Cybele, die ägyptischen Osiris 
und Isis, endlich der parthische Mithra — sie alle verschmolzen zu 
einer einzigen Götterfamilie. Die Kulte hatten oft einen orgiastischen 
Charakter. Sie waren den Vorstellungen von der „Mutter der Götter“, 
der fruchtbaren und gebärenden Göttin, sowie von dem sterbenden 
und auf erstehenden Gotte, dem Sinnbild des Verwelkens und Wieder 
aufblühens der Natur, des Herbstes und des Frühlings, angepaßt. Da 
her auch die „heilige Prostitution“, die in Pergamon, Phrygien, Ci- 
licien und den anderen Gegenden Kleinasiens weit verbreitet war, wo 
die Mädchen die Tempel füllten, um sich dem ersten besten hinzu 
geben und den von ihm erhaltenen Lohn zugunsten der Göttin, d. i. 
des Tempels ihres Namens (die von dem Deuteronomium verpönte 
„Buhlerinnengabe“) zu spenden. Aber auch all die Zeremonien des 
Beweinens des sterbenden Adonis oder Attis und der Freudentaumel zu 
S2 Dubnow, Weltgeschichte des jüdischen Volkes, Bd. II 
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