Volltext: Die alte Geschichte des jüdischen Volkes (2, Orientalische Periode / 1925)

§ 93. Das pseudo-biblische Schrifttum 
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lebenden Fischer versinnbildlicht, predigen Einfalt und ein recht 
schaffenes Arbeitsleben im Schoße der Natur: „Ich weiß, meine 
Söhne, daß in den letzten Zeiten eure Söhne die Einfalt verlassen und 
der Habgier anhängen werden . . . und sie werden den Ackerbau fah 
ren lassen und werden zerstreut werden unter den Heiden.“ In den 
übrigen Testamenten der Patriarchen fällt das sich oft wiederholende, 
seltsame Vermächtnis auf: „den Willen Gottes festzuhalten und den 
Willen des Teufels zu verwerfen“, was von dem Eindringen des par- 
sischen Dualismus in die religiöse Vorstellungswelt zeugt. Der Teufel 
wird hier „Beliar“ (Belial) genannt 
In den „Testamenten“ wird häufig das „Buch Henoch“ als eine 
alte heilige Geheimschrift erwähnt, aus der die Patriarchen ihre Weis 
sagungen ablesen. Dies zeugt von einem gewissen Zusammenhang der 
beiden Apokryphen, und somit gilt das, was oben (§ 61) zur Kenn 
zeichnung dieses früheren Werkes gesagt worden ist, auch für das 
spätere. Auch in den „Testamenten“ tritt das gleiche Gemisch von 
pharisäischen und essäischen Elementen, von Gesetzestreue und Aske 
tismus zutage wie im „Henoch“, bei einem im allgemeinen gleich 
hohen Niveau des ethischen Idealismus der beiden Werke. 
Die Fülle von nachbiblischen Legenden im erzählenden Teil macht 
dieses Buch den späteren „Midraschim“ der talmudischen Epoche 
verwandt, und nicht selten stimmen sogar die Legenden selbst in den 
beiden Quellen überein. Jedoch macht sich in den „Testamenten“ 
in einem noch höheren Maße als in dem „Buche Henoch“ die Bei 
mischung eines dritten Elementes bemerkbar: des christlichen. Die 
Interpolationen im Geiste der christlichen Dogmatik: über den Gott 
menschen, den Erlöser, den „Hohepriester-Christus“, über das Er 
scheinen Gottes auf Erden in menschlicher Gestalt zur Erlösung der 
Menscheit sind in dem ganzen Buche in einer solchen Fülle verstreut, 
daß viele in seinem Verfasser eines der Mitglieder der jüdisch-christ 
lichen Sekte des I. oder II. Jahrhunderts erblickten. Dieser Vermu 
tung widersprechen indessen die pharisäischen, ja auch die priester- 
lichen Elemente des Buches: die Hochhaltung des Gesetzes, des Tem 
pelkultes, die Auszeichnung der Leviten-Priester als einer auserwähl 
ten Gruppe. Ein Christ würde über den Jerusalemer Tempel, der da 
mals, nach dem Grundton des Buches zu urteilen, noch bestand, 
sowie über die Priester und die Allmacht des Gesetzes ganz anders 
geschrieben haben. So scheint es, daß der Grundtext der Feder eines
	        
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