§ 70. Die Tetrarchien des Philippus und des Herodes-Antipas
383
Richtersessel mit sich zu führen, und sobald man ihn auf seinem
Wege mit Beschwerden anging, pflegte er sich ohne Aufschub in den
Sessel niederzulassen, um auf der Stelle die Parteien anzuhören und
das Urteil zu sprechen. Als Philippus im Jahre 34 d. ehr. Ära kin
derlos starb, wurde sein Landgebiet auf Geheiß des Tiberius zu den
römischen Besitzungen in Syrien geschlagen.
Dem Zentrum näher lag die aus Galiläa und Peräa bestehende Te-
trarchie des Herodes-Antipas. War Peräa (der mittlere Landstrich
Trans Jordaniens) von einer gemischten jüdischen und griechisch-
syrischen Bevölkerung bewohnt, so lebten in dem fruchtbaren und
reizvollen Galiläa fast ausschließlich Juden in gedrängten Massen.
Hier eben nahmen jene revolutionären Strömungen ihren Anfang,
die so oft die Römer mit Sorge erfüllten. Und auch jene mächtige
messianisch-mystische Gärung in den niederen Volksschichten, die
einen übernatürlichen „Erlöser“ herbeisehnten, machte sich gleich
falls in Galiläa geltend. Seiner Erziehung nach ein halber Römer,
stand auch Herodes-Antipas 1 ) den national-politischen Idealen des
Judentums durchaus fern, doch hielt er an seinen formal-religiösein
Beziehungen zu ihm fest. So pflegte er an den großen Jahresfesten
nach Jerusalem zu wallfahrten, um dem Gottesdienst im Tempel bei
zuwohnen. In seiner Regierung befolgte Herodes-Antipas die Politik
eines bescheidenen römischen Vasallen, der von Unabhängigkeit nicht
einmal zu träumen wagte. Unter ihm wurde die zerstörte galiläische
Stadt Zippora (Sepphoris), die bei dem nach dem Tode Herodes I.
ausgebrochenen Aufstand von Varus zerstört worden war, wieder auf
gebaut und befestigt. In ihrer Nähe, an dem westlichen Ufer des
Genezarethsees, erbaute er auch noch eine neue Stadt, der er zu Ehren
des Kaisers den Namen Tiberias gab (späterhin wurde auch der See
selbst nach der Stadt Tiberiassee genannt). An diesem Orte wollte
Herodes-Antipas seine Residenz errichten und suchte daher möglichst
1 ) In den Evangelien wird Herodes-Antipas (wie ihn Josephus nennt) stets
einfach Herodes genannt. An einer Stelle (Mark. 6, i4) wird ihm der Titel eines
„Königs“ statt eines „Tetrarchen“ beigelegt. Unter dem Namen „Herodes“ be
gegnet uns dieser Herrscher auch in den Inschriften und auf den Münzen. In
den griechischen Inschriften (auf den Inseln Kos und Delos) wird er „der Tetrarch
Herodes, Sohn des Königs Herodes“ genannt. Auf den Münzen aus seiner Regie,i-
rungszeit lautet die griechische Aufschrift auf der einen Seite „Herodes Tetrar-
ches“, und auf der anderen — „Tiberias“ (der Name seiner Residenz) oder aber
„Kaiser Ca jus Germanicus“ (der Name des Caligula).