§17. Die „Weisheit“ des Ben Sirah
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besser als alles Gold; es geht keine Freude über das innerliche Be
hagen“ (3o, 16). Der Verfasser geißelt in gleicher Weise sowohl Geiz
wie auch Verschwendungssucht. Demut predigend, verlangt er jedoch
von dem einzelnen auch Aufrechterhaltung des Selbstgefühls. „Mein
Sohn, in Demut ehre dich selbst, und zolle dir Ehre, soviel du
verdienst. Denn wer wird den ehren, der sein Leben verunehrt?“ (io,
28—29). In Fragen des Alltagslebens predigt Ben Sirah vernünftige
Überlegung und die „goldene Mittelstraße“, die das Hauptprinzip
der Philosophie all der praktischen Geister bildet, die nicht von dem
ausgehen, was sein soll, sondern von dem, was ist.
Die Lehren des Ben Sirah unterrichten uns über viele Seiten der
Lebensführung und über die gesellschaftlichen Formen jener Zeit.
Aus ihnen ist zu ersehen, daß die mannigfachsten Handwerksarten
im Lande weit verbreitet waren. Der Verfasser schildert die schwere,
ununterbrochene Arbeit des Zimmerers, des Maurers, des Graveurs,
des Schmiedes mitten im Rauche und Brandgerüche der Schmiede,
des Töpfers (38, 27—30). Die erste Stelle bei der Aufzählung der
Betätigungsarten nimmt der Ackerbau ein (38, 2 5—26). Als Schrift-
gelehrter schätzt freilich Ben Sirah die geistige Arbeit viel höher
als die physische ein, wobei ihm die eine mit der anderen unverein
bar erscheint: „Wie kann weise werden, wer den Pflug regiert, der
die Ochsen antreibt und sich mit jungen Stieren unterhält?“ (ibid.).
Die körperlich arbeitenden Menschen verstehen sich auf ihre zum
Lebensunterhalt notwendige Arbeit und „ohne sie wird keine Stadt
gebaut“, sie vermögen aber weder in soziale Angelegenheiten noch in
höhere geistige Probleme tiefer einzudringen: „Bei der Volksberatung
verlangt man sie nicht, und in der Gemeindeversammlung tun sie sich
nicht hervor, auf dem Stuhle des Richters sitzen sie nicht und brin
gen nicht Gerechtigkeit und Recht an den Tag“ (38, 3i—34)- An
ders derjenige, der „seinen Sinn gerichtet hat und nachdenkt über
das Gesetz des Höchsten, der forscht nach der Weisheit aller Altvor
dern und ist beschäftigt mit den Weissagungen . . . Im Kreise der
Großen tut er Dienst und vor dem Fürsten erscheint er. Im Lande
fremder Völker reist er umher, denn Gutes und Böses sucht er unter
den Menschen zu erfahren. Seinen Sinn richtet er darauf, zu suchen
nach seinem Herrn, der ihn erschaffen hat ... Er bringt den Un
terricht seiner Belehrung zutage, und des Gesetzes des Bundes des
Herrn wird er sich rühmen . . . Von seiner Weisheit werden sich