Volltext: XIII. Jahrgang, 1908 (XIII. JG., 1908)

Nr. 10. 
Die Sicherung der Bauforderungen. 
Die Zentralstelle für Wohnungsreform veranstaltete 
gemeinsam mit dem Niederösterreichischen Gewerbe¬ 
vereine am 26. Marz 1908 eine Diskussion über die 
Sicherung der Bauforderungen unter dem Vorsitze des 
Herrn Hofrates Maresch. 
Herr Hofrat Maresch begrüßte als Vertreter des 
Ministeriums des Innern Herrn Sektionsrat Dr. Georg 
Pockels, als Vertreter des Justizministeriums Herrn 
Sektionschef J. Hrouzek, ferner als Vertreter des Handels¬ 
ministeriums Herrn Ministerialrat Kreuzbruck und Herrn 
Oberbaurat Sklenar. Ferner teilte er mit, daß der 
Ministerpräsident sich entschuldigte, und daß die Handels¬ 
kammer die Herren Kammerrat Krones und Dr. Treichl 
delegiert habe. 
Hierauf erstattete Herr Dr. Frey, Mitglied der Zentral¬ 
stelle für Wohnungsreform, das einleitende Referat. 
Herr Dr. Frey knüpfte einleitend an den vom Sub¬ 
komitee des Gewerbeausschusses des Abgeordnetenhauses 
ausgearbeiteten Entwurf an, der alle Aussicht habe, ehe¬ 
stens Gesetz zu werden. Daher sei es notwendig, so 
rasch als möglich alle diejenigen Forderungen zu formu¬ 
lieren, von deren Verwirklichung ein klagloses Funktio¬ 
nieren des Gesetzes ohne Schädigung der Gewerbe¬ 
treibenden abhänge. Zum Thema übergehend, erörterte 
Redner den Bau- und Realitätenschwindel. Ersterer 
wickelt sich entweder in der Form ab, daß ein ver¬ 
mögensloser Bauunternehmer selbst eine Bauspekulation 
unternimmt oder aber, daß ein Kapitalist einen Stroh¬ 
mann vorschiebt, um das Risiko einer Bauspekulation 
vpn sich abzuwälzen. Wenn die Spekulation gelingt, so 
erleiden die Bauhandwerker in der Regel keinen Schaden, 
wenn es jedoch nicht gelingt, das Haus nach seiner 
Fertigstellung günstig zu verkaufen, so hat sich wohl 
der Baustellenverkäufer und Baukreditgeber durch Hypo¬ 
theken gedeckt, hingegen gehen die Handwerker, die 
bloß eine persönliche Forderung gegen ihren meist 
vermögenslosen Schuldner haben, leer aus. Bei der 
zweiten Form des Bauschwindels spielt sich der Vorgang 
meist so ab, daß der frühere Eigentümer des Grund¬ 
stückes, sobald er für seine Forderung durch das fort¬ 
schreitende Bauwerk gedeckt zu sein glaubt, den Stroh¬ 
mann zur Exekution treibt. Die Berechtigung eines 
speziellen Gesetzes zur Verhinderung der Verluste der 
Bauhandwerker kann nur aus dem Umfange der Ver¬ 
luste erschlossen werden. Darüber nun werden von 
verschiedenen Seiten die widersprechendsten Angaben 
gemacht. Nur nebenbei sei erwähnt, daß der Schaden, 
den Berliner Bauhandwerker in den Jahren 1891 bis 
1893 erlitten, auf 75 Millionen Mark geschätzt wurde. 
Dieser Schaden ergab sich bei 731 Zwangsversteigerungen. 
In Wien werden jährlich 509 Bauten, davon zirka 
zwei Drittel Spekulationsbauten, errichtet. Die 
Zahl der Versteigerungen ist nicht bekannt. Eine En¬ 
quete des Justizministeriums aus dem Jahre 1899 hat 
diese Frage nicht in den Kreis der Expertise einbezogen. 
Möglicherweise werden die Erhebungen des Gewerbe¬ 
vereines ein einigermaßen zuverlässiges Bild ergeben. 
Die Berechtiguug eines Vorzugspfandrechtes der 
Bauhandwerker wird damit begründet, daß der Eigen¬ 
tümer eines Grundstückes auch das auf demselben noch 
nicht errichtete Bauwerk schon verpfänden und belasten 
kann, ohne Rücksicht darauf, ob die von ihm beschäftigten 
Gewerbetreibenden Bezahlung erhalten werden oder nicht. 
Seite 75. 
Dadurch wird es den Bauhandwerkern praktisch unmög¬ 
lich gemacht, eine wirksame Hypothek zu erlangen, da 
sie höchstens in einer ‘schlechten Rangordnung intabuliert 
werden können. Um diesem Übelstande abzuhelfen, 
ist es notwendig, den Wert des Gebäudes von dem des 
Baugrundes zu trennen und die Belastung des später 
entstehenden Baüwerkas unmöglich zu machen. Die im 
französischen Gesetzbuche enthaltene Bestimmung, daß 
der Bauhandwerker ein vorzugsweises Befriedigungsrecht 
besitze, stellt die älteste Norm, die in dieser Richtung 
besteht, dar, ist jedoch merkwürdigerweise nie praktisch 
geworden. Hingegen hat sich in den Vereinigten Staaten 
von Nordamerika seit 100 Jahren ein Vorzugspfand¬ 
recht der Bauhandwerker ausgebildet, das allen Unter¬ 
nehmern, auch den Subunternehmern, ein unmittelbares 
dringliches Recht an den Gebäuden gibt. 
Die Erfolge dieser amerikanischen Gesetzgebung 
sollen sehr große sein und Verluste der Bauhand¬ 
werker infolgedessen fast gar nicht Vorkommen. 
In Deutschland setzte die Bewegung zur Sicherung 
der Bauforderungen in den Achtziger-Jahren ein und 
hatte das Resultat, daß bis jetzt fünf verschiedene Gesetz¬ 
entwürfe im deutschen Reichstage eingebracht wurden. 
Auch in Österreich begann die Bewegung bereits in den 
Achtziger-Jahren. Der erste Regierungsentwurf datiert 
aus dem Jahre 1899, ein weiterer aus dem Jahre 1902, 
der jedoch nie bekannt wurde. Seither wurden vier 
Entwürfe aus Abgeordnetenkreisen eingebracht, von 
welchen der letzte der Wohlmeyer’sche vom Jahre 1907 
ist. Die beste Arbeit ist das schon erwähnte Referat 
Kulp vom Subkomitee des Gewerbeausschusses, das nun¬ 
mehr alle Aussicht hat, Gesetz zu werden. 
Der Grundgedanke des Entwurfes besteht darin, daß 
die Baugläubiger den anderen Hypothekargläubigern ohne 
Rücksicht auf den Zeitpunkt der Eintragung in Ansehung 
des den Wert der Baustelle übersteigenden Betrages 
vorangehen. Diese Sicherung wird mit Wirksamkeit 
bloß bei Neubauten erfolgen können. Das Gesetz gilt 
zwar auch für Umbauten, ist jedoch für diese illusorisch, 
da die früher eingetragenen Hypotheken rechtswirksam 
bleiben. Das Gesetz ist auf Wohnbauten beschränkt. 
Zu den geschützten Personen gehören die Baugewerbe¬ 
treibenden, Baumeister, Bautechniker und unter gewissen 
Bedingungen die Baukreditgeber. Die Bauarbeiter 
und Materiallieferanten sind ausgeschlossen. 
Letztere Beschränkung kann nicht gebilligt werden. 
Bauschuldner ist der Grundeigentümer, und zwar auch 
denjenigen Bauhandwerkern gegenüber, mit denen er 
nicht persönliche Verträge abgeschlossen hat. 
Die Baubewilligung wird nunmehr auch von der 
Einwilligung des Grundbuchsgerichtes abhängig sein. Im 
Falle der Belastung der Baustelle wird eine gerichtliche 
Schätzung stattfinden müssen. Erst nach derselben wird 
der Bau in Angriff genommen werden können. Dagegen 
wird eingewendet, daß es juristisch widersinnig erscheine, 
die Wirkung der eingetretenen Rechtskraft einer ver¬ 
waltungsbehördlichen Entscheidung von einer Über¬ 
prüfung durch das Gericht abhängig zu machen. 
Der Entwurf Kulp enthält nicht die im deutschen 
Gesetze vorgesehene Bestimmung der Differenzkaution. 
Einen wesentlichen Fortschritt muß man jedoch in der 
Bestimmung des § 6 (Rangordnung des Baukredites) er¬ 
blicken. Bisher machte man nämlich gegen alle Ent¬ 
würfe geltend, daß, wenn der Baukreditgeber nur den¬ 
selben Rang werde erhalten können als die Bauhand¬ 
Oberösterreichische Bauzeitung.
	        
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