Volltext: XI. Jahrgang, 1906 (XI. JG., 1906)

Seite 4. 
Oberösterreichische Bauzeitung. 
Nr. 1. 
töteten oder Verletzten den Erfolg möglicherweise herbei- 
geführt hat. Eine einigermaßen zuverlässige und gerechte 
Entscheidung wird sich nur finden lassen, wenn man als 
vorzüglich maßgebende Faktoren und Motive derselben 
sowohl die Beschaffenheit des Wirkungskreises der Leute 
des Bauunternehmers, wie jenen die Natur ihrer Obliegen 
heiten und ihr Gewerbe reguliert, in Rechnung zieht, als 
auch den Beruf des Bauunternehmers ins Auge faßt und 
ermißt, welche Pflichten daraus entfließen, wie sie die 
lebendige Geschäftspraxis, basiert auf die Grundsätze der 
Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit, geschaffen hat. Das 
sind Wahrheiten, welche bei unseren Strafrichtern leider 
noch immer nicht gehörig Eingang gefunden haben. Man 
vermißt sich vielmehr vom grünen Tisch aus, sobald die 
Staatsanwaltschaft gegen den Bauunternehmer eine 
Anklage wegen Fahrlässigkeit erhoben hat, bestimmen 
zu wollen, ob er in der Tat fahrlässig handelte, es nament 
lich an der nötigen Aufsicht hat fehlen lassen, oder ob 
ihn ein Verschulden nicht treffen kann. 
Dennoch sind sehr viele Fälle von der Beschaffenheit, 
daß die Strafrichter, weder der Präsident noch die Bei 
sitzer, über jene technischen Kenntnisse gebieten, um 
ein sicheres Urteil darüber abgeben zu können, ob 
wirklich der Unternehmer eines Baues fahrlässig handelte, 
ob er also seiner Stellung zu seinen Leuten, sowie seinem 
Beruf nach diese oder jene Handlung, wie die Staats 
anwaltschaft behauptet, vornehmen mußte, um das unheil 
volle Ereignis abzuwenden. Wenn irgendwo in einem 
Strafprozesse, so hätte hier der Gerichtshof Veranlassung, 
auf Antrag oder von Amtswegen einen Sachverständigen 
beweis durch Fachleute, durch Berufsgenossen des ange- 
klagten Bauunternehmers, zu erheben. Beiläufig bemerkt, 
versäume man nie, solche Anträge bei etwaigen Anklagen 
zu stellen. Schaut man sich aber in der Gerichtspraxis 
um, so findet man wohl niemals, daß ein derartiger Sach 
verständigenbeweis durch Experte aufgenommen worden 
wäre. Die Richter sehen, sei es aus Mißtrauen, sei es aus 
Furcht vor Weiterungen oder aus welchen Gründen 
imitier, davon ab und legen im Zweifel — in solchen 
Zweifeln sind sie immer, weil sie der technischen Kennt 
nisse ermangeln — regelmäßig dem Bauunternehmer die 
strafrechtliche Verantwortlichkeit zur Last, indem sie 
davon ausgehen, er hätte sich in erster Linie persönlich 
überzeugen müssen, ob zum Beispiel das Gerüst, welches 
gebrochen ist und den Unfall verursachte, den Regeln 
der Baukunst entsprechend konstruiert war, ob die 
Grube etc. unter einem gehörigen, die Sicherheit der 
unten Arbeitenden verbürgenden Winkel abgeböscht 
war u. s. w. Daß der Bauunternehmer einen vielleicht 
geprüften Maurermeister oder Gesellen dem Bau, wo dies 
Ereignis geschah, vorsetzte, also sich, wenn man das 
natürliche Rechtsgefühl maßgebend sein läßt, auf diesen 
verlassen durfte, daß ferner die Gesellen etc., welche das 
Gerüst aufbauen, die Ausschachtung des Grabens vor 
nehmen, verstandesmündig und in erster Linie doch auch 
Sachkundige sind, daß es also, wenn sie ein fehlerhaftes 
unsicheres Gerüst aufrichten, ihnen zunächst selber zur 
Schuld zuzurechnen ist, wenn etwas passiert, daß mithin 
unter solchen Umständen nach anerkannter Rechtsregel 
niemand für das fremde Verschulden verantwortlich ge 
macht werden kann — alle diese Momente werden regel 
mäßig vom Strafgerichtshof gar nicht in Erwägung ge 
zogen. Die Gerichtshöfe scheinen vielmehr in der An 
schauung befangen zu sein, als müsse auch ein viel 
beschäftigter Unternehmer, der zum Beispiel in einer 
großen Stadt an deren verschiedenen Endpunkten gleich 
zeitig eine Reihe von Bauten in Ausführungen hat, diese in 
Person beaufsichtigen, allgegenwärtig sein und stets 
dabei stehen, wenn eine Anlage auf dem Bau getroffen 
wird, welche an sich geeignet ist, möglicherweise einen 
Unfall herbeizuführen. War also zum Beispiel ein zu 
schwaches Brett gelegt, über welches ein Steinträger 
mit seiner Last dahinschritt und welches zerbrechend den 
Mann in die Tiefe stürzen ließ, so wird dem Bauunter 
nehmer zugemutet, er hätte Sorge tragen müssen, daß 
ein starkes eichenes Brett gelegt werde. 
Daß dies aber — gelinde gesagt — ein ungerecht 
fertigtes Ansinnen ist, erhellt schon für den Laien von 
selber. Man würde ferner damit die Anforderung stellen, 
daß ein Entrepreneur immer nur einen einzigen Bau 
übernehmen und ausführen könnte und daß er bei diesem 
stets gegenwärtig sein und eine Aufsichtsarbeit in Person 
zu versehen hätte, welche er nach baulicher Praxis der 
Hauptsache nach an seine Untergebenen überträgt. Eine 
derartige Anforderung würde auch keineswegs etwas 
nützen; denn nicht einmal bei einem und demselben 
Bau, welcher besonders umfangreich ist, wäre eine solche 
Allgegenwart möglich und Unglücksfälle könnten sich 
trotz der allergrößten, peinlichsten Aufmerksamkeit 
ereignen, wenn, wie ja natürlich, an verschiedenen 
Stellen gleichzeitig gearbeitet wird. Vollends würde es 
die Ausführung der Bauarbeit in der störendsten Weise 
hemmen, wenn jedesmal von dem Gesellen etc., der zum 
Beispiel ein Brett legt, die Instanz des Bauunternehmers 
angegangen werden müßte, ob diese Arbeit auch ein 
wandfrei ausgeführt sei. 
Nach Vernunft und Logik ergeben sich vielmehr für 
die richtige Auslegung der bekannten, hier, nicht zu 
wiederholenden Fahrlässigkeits - Strafgesetze folgende 
Regeln, deren Beherzigung jedem Richter dringend anzu 
empfehlen ist: 
1. Der Bauunternehmer vermeidet den Vorwurf der 
strafbaren Fahrlässigkeit gänzlich, sobald er einen ihm 
als tüchtig bekannten Mann mit der Aufsicht über die 
Bauarbeit betraut. Er darf dann von der Voraussetzung 
ausgehen, daß dieser dieselbe Sorgfalt und Aufmerksam 
keit wie er selber anwenden werde. 
2. Im Zweifel ist anzunehmen, daß diejenigen Leute, 
welche die schadenstiftende Anlage errichteten, die Sache 
auch verstanden haben und daß jeder Bauarbeiter, 
welcher diese Anlage benützt, sich selber von deren 
Sicherheit zu überzeugen hat, sowie endlich, daß die 
Vermutung bei einem Unglück für den Zufall oder für 
ein Verschulden desjenigen- spricht, welcher die Anlage 
errichtet beziehungsweise benützt, daß aber hiefür ein 
Dritter nicht haftbar gemacht werden kann. 
Dagegen kann dem Bauunternehmer eine Unter 
suchungspflicht, kraft deren er sich von der Sicherheit 
des Werkes Überzeugung zu verschaffen hätte, nicht 
zugemutet werden, er hat nicht nötig, seine Leute zu 
warnen, die ja selbst am besten, jedenfalls besser als er, 
unterrichtet sein müssen. 
Zum Schluß teilen wir noch einen Rechtsfall aus der 
juristischen Praxis mit, welcher zeigt, wie wenig manche 
Gerichtshöfe in den Sinn und Geist der Haftpflicht einge 
drungen sind. Es war bei einem Bau, wo ein Strick 
gerissen, an welchem Baumaterialien in die Höhe ge 
wunden wurden. Die letzteren stürzten herab und ein 
Arbeiter kam an seinem Körper zu Schaden. Nach langer 
Beratung und Debatte des Gerichtshofes, ob den wegen
	        
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