Volltext: IV. Jahrgang, 1899 (IV. JG., 1899)

Seite 146. 
OBERQSTEKREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Nr. 19. 
Wässerung und Trockenlegung des bewohnten 
Bodens, Zufuhr reinen Wassers, das sind auch beider 
vorliegenden Frage die Hauptanforderungen, welche 
die öffentliche Gesundheitspflege stellt, deren Er¬ 
füllung in den Worten Wasserleitung und Canalisation 
enthalten ist. 
Wenn auch der Verfasser vorstehender Zeilen keine 
besonderen Neuerungen anzugeben vermag, die den Titel 
seines Aufsatzes rechtfertigen, so können seineWorte 
doch als zeitgemässe Mahnung betrachtet werden 
gegenüber unseren Behörden, denen die Pflicht ob¬ 
liegt, für die Gesundheitsverhältnisse ihrer Bewohner 
bei Elementar-Ereignissen Sorge zu tragen. 
Die „Herrgottschnitzerei" in Tirol. 
Die „Herrgottschnitzerei" im Grödner Thale in Tirol 
befindet sich, wie ich mich auf einem diesjährigen Sommer¬ 
ausfluge zu meinem Leidwesen habe überzeugen müssen, 
in bedauerlichem Niedergange. Die Bewohner des Grödner 
Thaies beschäftigen sich bekanntlich vorwiegend mit 
Anfertigung von Schnitzwaren aus dem Holze der Zirbel¬ 
kiefer. Hauptort ist das etwa 1600 Einwohner zählende, 
weitausgedehnte und neuerdings als Sommerfrische so¬ 
wohl wie als Ausgangspunkt für Bergbesteigungen viel¬ 
besuchte Dorf St. Ulrich, Es bildet den Stapel- und 
Handelsplatz für die im Thale gefertigte Ware und ist 
auch der Sitz einer staatlichen Vorbildungsschule für die 
künftigen Bildschnitzer. Nach allem, was man sieht und 
hört, geht das Geschäft flott. Riesige Handlungshäuser — 
das grosse Steinhaus ist eine Eigenthümlichkeit des seiner 
Bevölkerung nach ladinischen Thaies — bestehen seit 
längerer Zeit und sind neuerdings entstanden, der Um¬ 
satz wird als sehr, bedeutend bezeichnet. Danach könnte 
es scheinen, als sei der eingangs ausgesprochene Satz 
unzutreffend. Und doch trifft er zu, freilich nicht etwa in 
kaufmännischer, wohl aber in. künstlerischer Hinsicht. 
Gerade das Aufblühen des „Geschäftes" trägt Schuld 
an dem künstlerischen Rückgange. Der Zwischenhandel 
und die „Fabrik" haben sich des Kunstgewerbezweiges 
bemächtigt und sind im Begriffe ihn zugrunde zu richten. 
Die Werkstättenarbeit des einzelnen Meisters geht zurück; 
er vermag den Wettbewerk des grossen Hauses nicht 
zu bestehen und wird gezwungen, seine Kraft in dessen 
Dienst zu stellên. Hier werden aber nicht mehr Künst¬ 
werke, hier wird „Ware" gemacht. Noch schnitzt der 
begabte, gründlich in der Werkstatt geschulte und ge¬ 
schickte Künstler trotz des dürftigen Lohnes, den er er¬ 
hält, seinen Gekreuzigten vorzüglich, dann aber kommen 
die Raspel und der dicke Kreidegrund und die süssliche 
Oelfarbe und verderben ihm sein Kunstwerk in Grund 
und Boden zu einer ausdruckslosen Wachspuppe. Und 
warum? — Weil es die Fabrik, der Zwischenhändler, das 
Publicum so verlangen. Das alte Lied also : Der Handel, 
die Massenerzeugung, das geringe Kunstverständnis der 
Abnehmer, sie graben der wirklichen Kunstübung das Grab. 
Hat der Staat das Uebel erkannt oder ist er ohne 
tieferes Eindringen nur einer neuzeitlichen Gepflogenheit 
gefolgt, genug, er hat gemeint, die Dinge duBch Ein¬ 
richtung einer „Schnitzschule" in St. Ulrich fördern zu 
sollen. Die Bezeichnung „Schnitzschule" trifft übrigens 
die Sache nicht. Es wird in dieser Anstalt nur gezeichnet 
und modelliert, des Unterrichtes in Schnitzen hat sich 
eine grosse Fabrik bemächtigt, die zugleich Haupthandels¬ 
haus ist für- die Grödner Schnitzware. Mit Schrecken 
habe ich gesehen, wie" in dieser Fabrik neben Grucifixen, 
Heiligenbildern und Altarwerken auch Tricotfiguren sinn¬ 
lichster Art, von Paris für eine dortige Tingeltangel- 
„Orgel" bestellt, geschnitzt wurden, geschnitzt und ge¬ 
raspelt und dick gekreidet und bunt bemalt und über 
und über vergoldet und versilbert! So wird das Stilgefühl, 
das sich .die Aelteren noch in der Werkstatt erworben, 
vernichtet, und so werden die Jungen im Bildschnitzen 
unterrichtet und erzogen! Jene staatliche Schule aber 
trägt kaum etwas dazu bei, solchem Missbrauche zu 
steuern. Sie erzieht ihre Schüler in einer verflauten Alier- 
weltskunst, statt sie ausschliesslich hinzulenken auf das 
Studium der schlichten und markigen Werke der deutschen 
oder auch italienischen Altvordern, die einzig und allein 
vorbildlich sein können für eine treffliche stilgerechte 
Holzschnitzerei. Auch des Unterrichtes im Schnitzen hätte 
sich die Anstalt nicht begeben sollen. Zwar kann sie nie 
erreichen, was die Werkstatt, was der die Kunst und das 
Kunsthandwerk ausübende Meister dem Lehrling bietet; 
aber, eine einsichtige Leitung vorausgesetzt, könnte sie 
doch dem vorstehend gekennzeichneten Fabrikunwesen 
wenigstens in etwas steuern. 
So trübe dksses Bild ist, schreibt Hossfeld im „Central- 
blatt der Bauverwaltung", durch einige erfreulichere Er¬ 
scheinungen wird es doch aufgehellt. Noch gibt es in 
St. Ulrich Werkstätten, in denen wirkliche Kunst geübt 
wird. Auf sie muss die Hoffnung gesetzt, ihnen muss 
aber auch zu Hilfe gekommen werden. Die Kirchen¬ 
verwaltungen, die Architekten, welche geschnitzter Bild¬ 
werke benöthigen und diese aus dem Grödner Thale be¬ 
ziehen wollen, sie sollten sich nicht an die dortigen 
Händler und Fabriken, sondern unmittelbar an die Werk¬ 
stätten, an die einzelnen Meister selbst wenden. Von' 
ihnen werden sie treffliche Schnitzwerke erhalten. Für 
einen Schleuderpreis können diese natürlich nicht her¬ 
gestellt werden, ein wirkliches Kunstwerk muss ent¬ 
sprechend bezahlt werden; aber die Forderungen der 
Meister sind bescheiden, und wenn die der Fabriken 
scheinbar geringer sind, so liegt das eben an der Minder¬ 
wertigkeit des Gebotenen. Bei der Bestellung wäre dann 
zu betonen, dass das Schnitzwerk so, wie es aus der 
Hand des Schnitzers kommt, geliefert wird. Die Anwendung 
der Raspel ist zu untersagen oder auf ein Mindestmaß 
zu beschränken. Die Bemalung aber, deren Handhabung 
in Groden besonders unzulänglich ist, schliesse man ganz 
aus und lasse sie daheim, unter den eigenen Augen aus¬ 
führen, Bemalung auf Kreidegrund wird immer mit grösster 
Vorsicht auszuführen sein, damit die Schönheit des 
Schnittes darunter nicht leidet; in vielen Fällen wird 
einer Schellackierung mit mehr oder weniger lasierendem 
Farbenauftrage der Vorzug zu geben sein. 
Beton als Baumaterial der Zukunft. 
Von Er kill Peters, Potsdam. 
Die Wichtigkeit des Betons als Baumaterial ist aller¬ 
seits in der Bauwissenschaft anerkannt und die Fort¬ 
schritte in seiner praktischen Anwendung werden immer 
grösser. Wenn man auf die Zeit des Wiederauflebens 
des Betonbaues zurückblickt, -so lassen sich sogar gross¬ 
artige Fortschritte auf diesem Gebiete feststellen. Im 
allgemeinen hat sich die Anwendung des Betons (in 
Deutschland wenigstens) meist nur auf Tiefbauausführungen 
erstreckt, da man sich nicht entschliessen konnte, der 
dem Beton nachgesagten Mängel wegen, sich auch seiner
	        
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