Volltext: IV. Jahrgang, 1899 (IV. JG., 1899)

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OBERÖSTERREICHISCHE BAUZEITUNG. 
Nr. 18. 
namendeutelnd ansang: „Der Du von Göttern stammst, 
yon Guten oder Gothen") sich von der Gothik so begeistern 
liess, und anders wie seine Zeitgenossen dachte, ist uns 
natürlich mehr als interessant. In Strassburg sah der 
Jungmeister Wolfgang das Münster gleich am Tage seiner 
Ankunft und er gab sich ganz dem Zauber dieses grossen 
Kunstwerks hin. 
Goethes Beziehungen zur Baukunst sind ja immer 
bedeutend gewesen; sein ausgeprägter Formensinn, seine 
kunstgeschichtlichen Liebhabereien, sein Zeichentalent 
und Oesers Schule brachten das früh mit. Wie plastisch 
stellt z. B. seine tadellose Zeichnung das von ihm so gern 
aufgesuchte alte Pfarrhaus von Sesenheim vor uns! 
Es ist eine seltsam-leidenschaftliche Sprache, die in 
keiner seiner kunstgèschichtlichen Schriften so wieder¬ 
kehrt, mit der er im ersten Aufsatze „Von deutscher 
Baukunst" sich des Strassburger Münsters annimmt. Dem 
Meister (er nahm irrig an, dass Ervin der alleinige war) 
widmet er dithyrambisch begeistert das Wort: „Was 
braucht's dir Denkmal! Du hast dir das herrlichste er¬ 
richtet; und kümmert die Ameisen, die drum krabbeln, 
dein Name nichts, hast du gleiches Schicksal mit dem 
Baumeister, der Berge aufthürmte in die Wolken." — 
Ervin hat nur an den unteren zwei Stockwerkeil ge¬ 
arbeitet. Johannes „dictus Vinlin", vermuthlich sein Sohn, 
hatte beide vollendet und das dritte. Stockwerk aufgesetzt, 
und dieses Meisters ausserordentliche Gewalt über den 
Stein liess Goethe zum mächtigen Bewunderer dieser 
Charakteristik werden. „Wenigen ward es gegeben, einen 
Babelgedanken in der Seele zu zeugen, ganz, gross und 
bis in den kleinsten Theil nothwendig schön, wie Bäume 
Gottes; wenigem auf tausend bietende Hände zutreffen, 
Felsengrund zu graben, steile Höhen drauf zu zaubern, 
und dann sterbend ihren Söhnen zu sagen: Ich bleibe 
bei Euch in den Werken meines Geistes, vollendet das 
Begonnene denn in Wolken." 
Der allgemeine Eindruck des Münsters war so 
mächtig auf den jungen Goethe, dass er sich häufig dem 
Genüsse der aus tausend harmonierenden Einzelheiten 
bestehenden Wirkung dieses Baudenkmals hingab, „von 
allen Seiten, aus allen Entfernungen, in jedem Lichte 
des Tages zu schauen seine Würde und Herrlichkeit"; 
Alle die krausen Begriffe seiner Zeitgenossen von • der. 
„verworrenen Willkürlichkeit gothischer Verzierungen", 
die Missverständnisse, die damals in der Gothik das Un¬ 
bestimmte, Ungeordnete, Unnatürliche, Zusammenge¬ 
stoppelte, Aufgeflickte, Ueberladene 'sahen, zerfielen wie 
Maienschnee vor der Sonne. Mit rechter Antheilnahme 
nehmen wir seine aphoristisch hingeworfenen Gedanken 
voll leidenschaftlicher lichter Liebe zum Münster wieder auf. 
Strassburg war für Goethe die Zeit, wo er seine 
deutsche Sprache, deutsche. Kunst und Oultur lieben 
lernte und mit jugendlicher Entschlossenheit das Fran- 
zöselnde abwarf, das ihm aus dem deutschen Kleinparis 
geblieben war. Dem Abbé Langier, der 1753 in. einem 
architektonischen Werke für die Säule eintrat, versteht 
Goethe mit Grazie ad absurdum zu führen und das Lob 
der deutschen Kunst; „dieses tiefste Gefühl von Wahrheit 
und Schönheit der Verhältnisse, wirkend aus starker 
rauher deutscher Seele" hunderttönig zu loben. Deutsch 
allein nennt er den Stil und predigt begeistert eine 
Wiedergeburt des. volksthümlichen Stils. Es ist rührend, 
wenn wir hören, wie dieser junge, unruhige/ wissens¬ 
hungrige Geist zwischen dem Besuche juristischer Col¬ 
légien, Anatomiesälen, Tanzstunden und Allotria zu allen 
Tagesstunden oder in der Nacht beim Stêrnenflimmern 
zum Münster schreitet, schauend, zeichnend, reflectierend 
das Deutschthum der Gothik auf sich wirken lässt. 
Nochmals ist unsere Erkenntnis darüber erweitert. 
Die Wiege der Gothik,. die Rudimentargothik waren Isle 
de France und die burgundisch-cisterciensischen Kreise 
Nordfrankreichs, in dessen Volksthum viel Germanenblut 
pulsierte. Ohne die germanische vorbereitende, d. i. die 
romanische Epoche, wäre die Gothik nicht geworden, 
ebenso hätte kein Vplksthum sie zu der reichen Blüte 
auswachsen lassen können, wie nachmals das Deutsche. 
Das Gefühl leitete Goethe also recht. Gewiss hat sein 
Beitrag zur deutschen Baukunst für die Kunstgeschichte 
nicht den hohen Wert einer Arbeit, die ihr uninteressiertes 
Wohlgefallen kritisch und ästhetisch überzeugt oder 
glänzend begründet, er ist von seinem heissen Herzen 
die tier t. 
Goethe war der erste, der die. Zusammengehörigkeit 
und Untrennbarkeit von Poesie öder Kunst unci Wissen¬ 
schaft erkannte. Und er bewies das in seiner eigenen 
Gestalt. Er sah in beiden zwei verschiedene aber voll¬ 
kommen gleichberechtigte Ausstrahlungen desselben 
Culturlebens,'zwei Functionen derselben Einheit: „Wissen¬ 
schaft das Theorem — Kunst das Problem." — Der 
Architekt darf unter Vielen zuerst den Anspruch er¬ 
heben, .dass seine Aufgaben, sein Beruf in diesem Ge¬ 
danken aufgeht. 
Wir wissen, dass in Goethe früh schon ein grosser 
Zug sich geltend machte, der auf plastische Anschaulich¬ 
keit, auf antike Harmonie gerichtet war. Weder die da¬ 
maligen deutschen Literatur-, noch deutschen Kunst¬ 
zustände konnten ihm liiefür die Anregung bieten, die 
sein Geist suchte. Diese harmonische Plastik, die nach 
Strassburg aufsteigenden Ideale seines Herzens fand er 
in der Beschäftigung mit der griechischen Kunst, in den 
Studien seines Aufenthalts in Italien. Als er auf classischem 
Boden /Winkelmanns Geschichte der Kunst zu lesen be¬ 
gann, war die grosse Wandelung geschehen. Das Eherne, 
das Charakteristische der Gothik hatte ihn mächtig an¬ 
geregt; die gedämpfte Leidenschaft der Antike, deren 
Linien der Schönheit und Kühe, die classische Umgebung, 
liessen das alles etwas verblassen. Seine schönheitsdurstige 
Seele gieng ganz in dem Bilde auf, mit dem Otto Wagner 
die Antike charakterisiert : Ein mit lebhaften Farben be¬ 
malter griechischer Tempel, der Hain mit bunten Statuen 
geziert, ein schöner kurzgeschürzter Grieche mit brauner 
Haut, der heilige, farbig stimmende Oelbauin, der tief¬ 
blaue Himmel, die erhitzte zitternde Atmosphäre, die 
scharf abgegrenzten Schatten — das ist doch ein Bild, 
eine Symphonie. — 
Die Art, in der im Anfange des Jahrhunderts das 
Deutschthum gesucht, betont, zur Schau getragen wurde, 
nennt man ja Deutschthümelei. Die Romantiker rçrit ihrer 
katholisierenden Vorliebe für das Mittelalter, die Träger 
dieser Ideen, waren Goethe in der Seele zuwider: „Das 
Classische nenne ich das Gesunde, das Romantische das 
Kranke," sagte er. „Am wunderlichsten kommt mir dabei 
der deutsche Patriotismus vor, der diese offenbar sara¬ 
zenische Pflanze (die Gothik) als aus seinem Grund und 
Boden entsprungen gern darstellen möchte" (Brief an 
Reinhard, 1810). Wie gross auch diese Zeit war, dem 
Olympier musste sie klein erscheinen, eine Zeit, die in 
der grossen Kunst,'in der Architektur, nichts eigenes zu 
sagen hatte; kühl und rein historisch betrachtend stellte 
er sich daher der christlich-germanischen Kunst, der
	        
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