Volltext: Nr. 5 (5. 1919)

Berichte. 
Linz. 
Berufsberatung. Samstag den 1. März hatten wir 
Gelegenheit, einen Vortrag des Leiters des Wiener 
jüdischen Berufsamtes, Herrn Erwin K o h 11 über 
dieses Thema, zu hören. Die Ausführungen, die im 
großen und ganzen mit dem in unserem Blatte gebrachten 
Artikel: „Ein jüdisches Berufsamt" übereinstimmen, 
fanden bei den leider nicht allzu zahlreich Erschienenen 
reichen Beifall und vollstes Verständnis; besonders der 
Plan eines in wenigen Wochen schon entstehenden jüdi¬ 
schen Schulwerkes bei Gänserndorf, unweit Wien, wo 
einstweilen mehrere hundert junger Juden und Jüdinnen 
Beschäftigung und zugleich planmäßigen Unterricht in 
der Landwirtschaft finden sollen. An der Diskussion 
beteiligten sich Frau Dr. K l a übe r, Rabb. Dr. G h r i- 
s t i a n p 0 11 e r und Ing. P i s k a t y. 
Versammiutigsbericht. Wir haben bereits an leitender 
Stelle über die am 2. März stattgefundene, vom Wahl¬ 
komitee der Linzer Kultusgeineinde einberufene Ver¬ 
sammlung gesprochen und wollen hiezu noch berichten ; 
Der Besuch war ein so starker, daß der \ ortragssaai 
des Kaufm. Vereinshauses fast zu klein wurde. Schon 
bei Beginn der Versammlung machte sich eine gewisse 
Nervosität geltend, als Baurat Stern, als Obmann des 
einberufenden Komitees, die Versammlung eröffnete. 
Dem Verlangen, einen Vorsitz zu wählen, wurde von dem¬ 
selben entgegen gehalten, daß ein einberufendes Komitee 
oder Büro stets, einem parlamentarischen Brauche fol¬ 
gend, den Vorsitz von Verhandlungen zu leiten hat. 
In seinem eingehenden Referat verwies Baurat 
Stern zuerst auf die am 23. Februar beschlossene Än¬ 
derung des Gemeindestatutes (siehe Nr. 4 ^unseres 
Blattes) und begründete dann in ausführlicher Rede das 
der Aufstellung der Kandidaten zugrunde gelegte Pro¬ 
gramm (ebenfalls in Nr. 4 der „J. N.a enthalten). Zur 
Kandidatenliste selbst übergehend, gab der Referent die 
Grundzüge bekannt, die das Komitee bei der Au rstellung 
geleitet haben und die in zwei Sätzen sich ausdrucken 
fassenVollste Objektivität jeder Partei und jeder Per¬ 
sönlichkeit gegenüber und — Aufstellung keiner Liste 
von Parteimännern, sondern von aufrechten, selbstbewu߬ 
ten Juden und Jüdinnen. 
Demgemäß dürfe die Liste weder als Ergebnis \on 
gegenseitigen Kampfabstimmungen oder als Ergebnis der 
Majorisierung einer der beiden Parteien — Konservative 
und Jüdischnationale — gewertet werden, sondern als 
Aufzählung der Männer und Frauen, die unabhängig 
von ihrem politischen oder nationalen Bekenntnis — als 
würdig und fähig erachtet wurden, die Gemeinde nach 
außen zu vertreten und nach innen zu festigen und lort 
zuentwickeln. 
Zum Schlüsse bat der Redner, die Liste zur Kenntnis 
nehmen zu wollen und damit zu zeigen, daß Ideen und 
Prinzipien, nichts Persönliches die Meinungen und 
Urteile beeinflussen. 
Es sprachen nun, oft von Zwischenrufen unter- 
brochen, einige Kandidaten, und zwar Frau Dr. Leontine 
Klaub er, als einziger in der Liste enthaltener weib- 
1 icher Kandidat, die versprach, für Jugenderziehung und 
spezifische Fraueninteressen stets arbeiten zu wollen; 
dann Herr Benedikt Schwager, der in treüenden 
Worten auseinandersetzte, daß es Pflicht eines jeden 
Juden sei, wenn ihn das Vertrauen seiner Glaubens¬ 
genossen an leitende Stelle setze, mit seiner ganzen Kraft 
für das Gesamtwohl zu arbeiten. Er führte als Beispiel 
seine eigene zwölfjährige Tätigkeit als Vorsteher an, 
während welcher er' oft persönliche Interessen und wirt¬ 
schaftliche Pflichten vernachlässigen mußte, um furs 
Gemeinwohl zu arbeiten. Er täte dies aber gerne, denn 
er fühle sich noch jung und Mannes genug, ein Mandat 
voll und ganz auszufüllen, worauf es vor allem ankäme. 
Dr. Rudolf Menzel führte aus, daß er, falls er 
gewähit werden sollte sich ganz und gar als Vertreter 
der Jugend, der Hoffnung und dem Stolz unserer Gene¬ 
ration, mtehr als irgend einer anderen, betrachten wurde, 
Zur Jugend gehöre er nicht bloß kraft seines Alters, son¬ 
dern mit seiner ganzen Liebe, Arbeitskraft und 1 ätigkeit. 
Er sprach des weiteren: „Neben dem politischen, aut 
Palästina gerichteten Zionismus besteht eine zionistische 
Bewegung, die auf die innere Stärkung des «I udentums 
gerichtet ist und der- auch sehr viele angehören, die äußet 
lieb dem Zionismus ferne stehen, ihn als politische Be¬ 
wegung sogar ablehnen." W er sich dieser Art des Zionis¬ 
mus, eigentlich des Jüdisch-Bewußtseins entgegenstelle, 
stelle sich außerhalb des Judentums und verwirke das 
Recht, in jüdischen Fragen mitzureden. Der Zionismus 
sei die einzige Partei mit einem positiv-jüdischen t ro¬ 
gramm, die ihm Entgegentretenden hätten eigentlich 
lediglich ein Programm der Negation. , 
Es entspann sich nunmehr die Debatte, in der als 
Hauptredner kontra Liste Herr Leo Alb recht auftrat, 
der die ihm zu groß dünkende Zahl der in der Liste 
enthaltenen Kandidaten der jüdisch-nationalen Partei 
(acht Mann gegen zwölf Konservative) kritisierte und 
der Befürchtung Ausdruck verlieh, diese acht könnten 
gegebenenfalls die anderen zwölf majorisieren. Als er 
dann Dinge aus dem vertraulich geführten Verhandlungs¬ 
gang des Wahlkomitees zur Sprache bringen wollte, ver¬ 
wies ihn der Vorsitzende zur Sache. 
Der Redner polemisierte gegen die Ausführungen des 
Referenten und Kandidaten Dr. Menzel, lehnte des letz¬ 
teren Kandidatur wegen mangelnder Bodenständigkeit 
ab und die Kandidatur des Ing. E. Finger, weil derselbe 
in Wels wohne. Zum Schlüsse ersuchte er um Abstim¬ 
mung, daß die Liste des Komitees nicht zur Kenntnis 
genommen werde, um so mehr, als einige Kandidaten 
in diesem Rahmen nicht anzunehmen gedächten. 
Es sprachen ferner für Annahme der Liste Baurat; 
Stern Dr. Morgenstern, Dr. Rabl, Ing. Seligmann; da¬ 
gegen' H. Robitschek, Rudolf Kafka, Albrecht und 
A,°Sternschein. Die Vermittlungsvorschläge der Herren 
Schwager und Hauser wurden von den stets sich mehr 
erhitzenden Gegnern der Liste nicht beachtet; die Liste 
wurde hierauf mit 88 gegen 73 Stimmen nicht zur Kennt¬ 
nis genommen und damit der mühevollen und undank¬ 
baren Tätigkeit de« Komitees ein ergebnisloses Ende 
bereitet. — 
Im nachfolgenden geben wir die Kandidatenliste des 
Wablkomitees wieder: 
Breth Ernst, Prokurist; 
Bruder Emil, Kaufmann \4 
Finger Ephraim, Ing., Oberkommissar;
	        
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