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der Nacht krochen leise vom Tale herauf. Der Ferdl hatte unterdessen
den Wald erreicht. Da kam das Verhängnis. Ein donnerndes „Halt!"
schallte ihm ans dem Dunkel des Waldes entgegen . . .
„Verflucht! ; . Der Ferdl schleuderte den Bergstock weg und
griff nach seinem Stutzen. Aber im gleichen Moment blitzte von der
andern Seite her ein Kugelschuß über den Schnee. Nochmals ein Halt¬
ruf, aber diesmal ein doppelter. Zwei Jäger standen mit angeschlagenen
Büchsen . . .
Hier gabs kein langes Ueberlegen mehr. Hier hieß es vor allem
Zeit gewinnen. Hätte Ferdl schießen wollen, wären sie ihm zuvor¬
gekommen ... Er wandte sich, warf den Rucksack weg und stürmte mit
großen Schritten die Waldhänge hinunter. Ihm nach die Jäger. Wie
ein gehetztes Wild sprang er von Baum zu Baum. Sie ließen ihm nicht
Zeit, Deckung zu suchen. Der Ferdl stürmte weiter. In der rasenden
Flucht konnte er unmöglich zur Waffe greifen.
Schließlich machte die einbrechende Nacht der Verfolgung ein
Ende. Die Jäger zogen sich zurück, nachdem sie selber nicht mehr sicher
waren, wohin sie gerieten. Der Ferdl konnte nun endlich ausschnaufen
Den Stutzen hatte er noch. Aber was nützt ihm der jetzt? Er wußte,
jetzt saß ihm der Tod erst recht auf dem Rücken. Bleischwer wurden
seine Glieder. Eine eisige Kälte machte sich breit. Nur Schritt für Schritt
konnte er vorwärts. Baum für Baum. Und überall lauerte der Abgrund.
Wo er im schwachen Sternenlicht, das durch den Wald schimmerte, solch
ein schwarzes Loch sah, da war es ihm, als ob ihn der Sensenmann
höhnisch anlachen würde, gleichsam als wollte er sagen: „Dein Mühen
ist umsonst; im kommst mir nicht mehr aus!" Und schon krallte sich
auch langsam die Verzweiflung in seilt Herz. Schon drohten seine Sinne
zu schwinden. Da war es vorbei mit seiner Kraft. Schwer schlug er zur
Erde. Bei einem Baumstamm blieb er liegen. Ein mattes Sternlein
guckte neugierig durch das Geäst aus den verwitterten, unglücklichen
Mann. Und dieses Sternlein blinkerte immer mehr und mehr und all¬
mählich wurde es immer größer und leuchtender, bis es im Lichtbild
des Wildschützen stand. Der beachtete es anfangs wenig. War ja ein
Stern wie jeder andere. Der eine größer, der andere kleiner. Aber ge¬
rade der eine warf bei ihm einen sonderbaren Gedanken aus: Stand er
nicht auch über der Hütte seines Weibes und leuchtete hinein und . . .
Herrgott im Himmel, hätte er doch seinem Weibe gefolgt! Jetzt wird
sie sicher daheim auf den Knien liegen und für ihn beten, für ihn, der
vielleicht ihre Hütte nicht mehr sehen wird ... Es wird ihm so sonderbar
zu Mute. Wie, wenn er wirklich nicht mehr heimkäme — ? Es zuckt
und rüttelt ihn au allen Gliedern. Er will nicht sterben, nein! Leben
will er, leben! Und ober ihm standen die Sterne, die blinkten und blitzten
und ihm zuzurufen schienen: Fahr' nicht dahin in Verzweiflung!
Und da fanden sich nach langer Zeit wieder die Hände zusammen.
Da schrie das Herz aus in banger Not und ein Gelöbnis stahl sich über
seine Lippen... Er greift nach dem Stutzen und drückt los. Donnernd
kracht es in den Wänden. Dann packt er ihn mit fester Hand und
schleudert ihn dorthin, wo das schwarze Loch gähnt . . .