Volltext: Der Spaßvogel 1928 (1928)

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VBer Gepard. 
Von Franz Turba. 
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Nachdruck verboten! 
02) 
Fie so mancher Ort der Alpen⸗ 
JE laänder wird auch Obertalheim 
— im Sommer nicht vom Bür— 
—— germeister, sondern vom Ver— 
schönerungsverein regiert. Der Verschöne— 
rungsverein betrachtet es als seine wichtigste 
Aufgabe, für die Zerstreuung und Unter— 
haltung der aus allen Himmelsgegenden 
herangelockten Fremden zu sorgen. Ein 
Bauerntheater stellt fluchende Väter, wei— 
aende Mütter und verzweifelte Liebes— 
daare auf die Bretter, eine Lichtbildbühne 
zührt der Jugend die aufregenden Einzel— 
heiten einer in der Berliner Hasenhaide 
mprovisierten Indianerschlacht vor Augen 
und die Feuerwehrkapelle schmettert einmal 
in der Woche den Sommergästen die vor 
zehn Jahren in der Großstadt vertriebenen 
Gassenhauer als Kurmusik in die Ohren. 
Im vorigen Sommer wollte der Ver— 
schönerungsverein von Obertalheim den 
Fremden einmal etwas Besonderes bieten. 
Ein auf dem Wege zwischen zwei Lan— 
deshauptstädten reisender Zirkus wurde 
eingeladen, einige Tage in Obertalheim 
Rast zu machen und Einheimische und 
Sommergäste mit seinen unübertrefflichen 
Darbietungen zu erfreuean. 
Zu den zugkräftigsten Sehenswürdig— 
keiten des Zirkus gehörte eine reichhal— 
tige Menagerie. Parder und Panther, Pu— 
ma und Serval, Karakal und Irbis, kurz⸗ 
um alle seltenen Vertreter des Raubtier— 
geschlechtes bevölkerten die festgebauten Kä— 
fige, ja selbst die hochbeinigen Geparde, 
die mit ihren nicht zurückziehbaren Kral— 
len über die Katzenart hinausstreben, konn— 
ten bestaunt werden. Diese auserlesene 
Sammlung von wilden Tieren erregte nicht 
bloß das Interesse der Jugend von Ober— 
talheim, auch die braven Bürger unter— 
hielten sich, wenn sie am Abend bei den 
Biergläsern saßen, über die Elefanten und 
Kamele, Krokodile und Löwen des Zirkus. 
„Kreuz Teufel, das wär' doch eigent— 
lich ganz was anderes so eine wilde Lö— 
wenjagd“ meinte der Amlinger, der Bäk— 
ker des Ortes, der jeden Nachmittag auf 
die Hasenpirsch ging und glücklich war, 
wenn er einmal mit seiner Flinte eine 
halblahme, blinde Krähe zur Strecke brachte. 
„Aber freilich, unsereiner kommt zu einer 
solchen Gelegenheit nicht, unsereiner findet 
sein Lebenlang den Weg aus Witteleuropa 
nicht hinaus, unsereiner muß froh sein, 
wenn er auf ein Reh oder eine Gams oder 
n im vJVahr. auf einen Fuchs anlegen 
ann.“ V 
Aber der Wunsch des Amlinger ging 
früher in Erfüllung, als der tapfere Bäcker 
dachte und wollte. — 
Der Zirkus hatte seine Vorstellungen 
beendet, und die Tierwagen standen auf 
dem Bahnhof von Obertalheim zum Ab— 
transport bereit. Während die Lokomo— 
tive die einzelnen Teile des Zuges anein— 
anderreihte, stieß das Ende des Lasttrains 
so heftig auf den Waggon mit den Kä— 
figen auf, daß die rückwärtige Wand in 
Trümmer ging, die Eisenstäbe gelockert 
wurden und die erschrockenen Raubtiere 
auszubrechen versuchten. Den zur Wit— 
fahrt bereitstehenden Wärtern der Mena— 
gerie gelang es, die Tiere in die Käfige 
zurückzutreiben und dann in einem unbe— 
schädigten Wagen unterzubringen, nur ein 
aus Asien stammender junger Gepard und 
eine Antilope hatten bereits das Weite 
gesucht und blieben verschollen. 
In Obertalheim zog Furcht und Schrek⸗ 
ken ein, als sich die Rachricht von dem 
merkwürdigen Eisenbahnunfall verbreitete. 
Der Amlinger nagelte die Fensterläden sei— 
nes Hauses zu, hielt die Gassentüre ver— 
sperrt und schlief zur Nachtzeit in einer 
luftdicht gegen die Außenwelt abgeschlosse— 
nen Dachkammer in der Hängematte. Der 
Nachtwächter kündigte seinen Dienst und 
war nicht zu bewegen, nach Einbruch der 
Dunkelheit allein auf die Straße zu gehen.
	        
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