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Ueber Wesen, Ursachen und Entstehung, Verlauf,
Behandlung und Verhütung der Diphtheritis.
Von Dr. med. Martin-Meiderich a. Rhein.
Mit dem Namen Diphtheritis belegen wir eine Krankheit, deren
hauptsächlichstes, auch für den Laien leicht erkennbares Merkmal in dem
Auftreten eines weissen, oft leicht gelblich, meist aber mehr grau
gefärbten Belages auf den Mandeln, dem Gaumensegel, dem Zäpfchen und
den weiter nach hinten gelegenen Rachenteilen besteht. Dieser Belag
kann eine sehr verschieden grosse Ausdehnung haben, er kann die ge
nannten Gebilde fast vollständig überziehen, kann aber auch nur verein
zelte kleinere Flecken, oft kaum stecknadelkopfgrosse Pünktchen darstellen.
Kleine, an denselben Stellen vorkommende Geschwürchen, welche allerdings
nicht wie Diphtheritisflecke leicht erhaben, sondern eher etwas vertieft
sind, ferner kleine, in den Mandeln steckende, käsige Eiterpfröpfchen
vermögen ein ähnliches Bild zu geben und daher eine Verwechselung zu
veranlassen; doch ist es kein folgenschwerer Irrtum, wenn ein Familien
vater, dem es ja weniger um die genaue wissenschaftliche Feststellung der
Krankheit, als um eine möglichst baldige Wiederherstellung seiner Ange
hörigen zu thun ist, in allen zweifelhaften Fällen beim Auftreten eines
Belages im Halse das Leiden als Diphtheritis auffasst und bis zur Ankunft
eines Naturarztes seine ersten Massnahmen hiernach einrichtet. Er wird,
auch wenn es sich um einen der genannten anderen Vorgänge handelt,
vielleicht wohl etwas nicht unbedingt Notwendiges, nie aber etwas Falsches
oder Schädliches gethan haben.
Zu diesem Hauptmerkmale, dem grauweissen Belage, gesellen sich
dann nochandere Zeichen: Schwellung der den Rachengebilden nächstgelegenen
Drüsen, ein dunkler gefärbter, oft getrübter Urin, ein oft zwar nur leichtes,
oft aber auch sehr hochgradiges Fieber mit allen den Begleiterscheinungen
eines solchen, wie Müdigkeit, Gliederschmerzen, Kopfschmerzen u. dergl.;
Störungen von seiten der Magen- und Darmtbätigkeit, wie Appetitlosig
keit, Erbrechen, Verstopfung oder Durchfall pflegen nur selten zu fehlen
und gehen meist dem Auftreten des Belages bereits einige Tage voraus.
Eine gleichzeitig mit dem Belage sich einstellende geringere oder stärkere
Anschwellung der befallenen Teile, hauptsächlich der Mandeln, erschwert
das Schlucken und macht dasselbe schmerzhaft; doch muss man trotzdem
nicht erwarten, dass die Kinder durch ihre Klagen sofort die Aufmerk
samkeit auf den Hals hinlenkten. Häufig geben dieselben an, der Mund
thue ihnen web, oft die Zunge oder die Zähne; nicht selten klagen sie
trotz stärkerer Mandelschwellung nur über ganz entfernte Körperteile, wie
den Leib oder die Beine; besonders verdächtig ist die Klage über Ohren
schmerzen, und muss diese letztere Angabe immer zu einer genauen Be
sichtigung der Rachengebilde auffordern. Man wird überhaupt gut thun,
bei jeder ernstlicheren Erkrankung der Kinder, wo nicht sofort ein anderes
Leiden klar auf der Hand liegt, es sich zur Pflicht zu machen, den kleinen
Patienten in den Mund zu sehen, wenn man sich den schwerwiegenden
Vorwurf ersparen will, einmal eine so schlimme Krankheit wie Diphtheritis
gänzlich übersehen zu haben.
Im weiteren Verlaufe der Krankheit können ähnliche Beläge wie auf
den Rachengebilden auch auf den Schleimhäuten der tieferen Teile des
Verdauungskanals bis zu den untersten Darmabschnitten hin auftreten,