Volltext: Der Naturarzt 1890 (1890)

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gebieterisch von seinen Ärzten, daß sie es massieren, weil diese Heilweise die 
modernste ist, und daher würde jeder moderne Arzt seine Ehre, sein Ansehen 
einbüßen, oder mindestens aufs Spiel setzen, wenn er eingestehen würde, er 
könne nicht massieren, oder er halte nichts von dieser äußerlichen „Rerbekur". 
Und er thäte auch wahrlich diesem einfachen, weil natürlichen und daher 
mächtigen Heilfakror ein großes Unrecht, wenn er ihn vornehm übersähe, 
oder gar absprechend über denselben urteilte, ohne ihn vorher auf seinen Wert 
oder Unwert geprüft zu haben. Wer aber einmal eine frische Fußverstauchung 
mit Massage behandeln und den Kranken, der früher bei jeder unwillkürlichen 
Bewegung seines Fußes laut aufschrie vor Schmerzen, nach einer halbstündigen 
Vornahme wieder herumgehen gesehen hat, als wenn gar nichts vorgefallen 
wäre, wird gewiß aus einem ungläubigen Saulus ein beredter Paulus für die 
Massage werden. Andererseits ist es ein vielleicht noch größeres Unrecht, diese 
Heilweise, welche ihre ganz bestimmten Indikationen (Anzeigen) hat, als Wunder 
mittel gegen alle heilbaren und unheilbaren Krankheiten anzupreisen und da 
durch bei dem stets zweifelnden Arzte Zweifel auch an dem wachzurufen, was 
sie wirklich in ausgezeichneter Weise zu leisten imstande ist. Die Massage ist 
ein uraltes Volksmittel*) gegen die verschiedensten Krankhcitsformen und wird 
auch jetzt von vielen Naturvölkern, insbesondere gegen Verdauungskrankheiten 
angewendet. Eine große Vollkommenheit erreichte aber bicfe Heilmethode selbst 
bei den rohesten und unkultiviertesten Völkerschaften in ihrer Anwendung beim 
schwangeren Weibe, als einziges Heilmittel bei schwierigen Geburten. Es darf 
uns dies nicht Wunder nehmen, denn es ist nur natürlich, daß der Mensch, 
bei dem die Erhaltung der Art ermöglichenden wichtigsten Akte — bei der 
Geburt des Kindes — nur die einfachste und erfolgreichste Hilfeleistung bei 
behielt, die sich durch jahrtausendelange Erfahrung als solche bewährt hatte, 
und dies ist die Massage, mit Hilfe deren bei ihnen unnatürliche Kindcslagen 
umgewandelt und die normale Geburt durch Expression (Ausdruck) ermöglicht 
wurde. Sie sind in der Anwendung dieser äußeren Handgriffe so geschickt, 
daß verschiedene Krankheitszustände des Wochenbettes bei ihnen fast gar nicht 
vorkommen. Bei uns „Civilisierten" bedurfte es einer Art Wiederentdeckung, 
bis sich diese altbewährte Geburtshilfe ihren gebührenden Rang eroberte. Aber 
damit ist das Wirkungsgebiet der Massage durchaus nicht erschöpft. Die 
Chirurgie, dieser zu der größten Vollkommenheit gelangte Teil der Heil 
wissenschaft, kann der Hilfe dieses verläßlichen Faktors absolut nicht mehr ent- 
raten, da kein anderes Heilmittel imstande ist, Ausschwitzungen in Gelenken, 
Sehnenscheiden und Muskeln mit solcher Sicherheit und Schnelligkeit zur Auf 
saugung zu bringen, als diese rein tecknische Hellmethode. Kein anderes 
„Specifikum^ löst falsche Verwachsungen so sicher, als dieses, und kein anderes ver 
mag Steifigkeiten in den Gelenken, sowie Krümmungen, so schnell zu beseitigen 
als Massage in Verbindung mit passiven Bewegungen. Auch die Augenheil 
kunde konnte sich nicht ihrem wohlthätigen Einflüsse entziehen. Die schönsten 
Erfolge aber erzielte die Maffage in der Heilung der Nervenkrankheiten bei 
Migräne, Ischias, verschiedenen Neuralgieen und Veitstanz u. s. w. 
Solche Ärzle allerdings, deren gesamter heilkundlicher Apparat die 
neuiste Ausgabe der „Arzneimittellehre" bildet, wollen trotz der augenfälligen 
Erfolge von diesem, nach ihrer Meinung nicht ebenbürtigen Heilmittel nichts 
wissen, und wir finden dies auch begreiflich, wenn wir bedenken, daß es viel 
leichter und bequemer ist, eine der auswendig gelernten Formeln auf ein läng 
liches Slück Papier mit kaum lesbaren Hieroglyphen zu zeichnen, als mit 
*) Das Schulterkuchenstreichen im Volke. Was ist's? Massage! 
D. Red.
	        
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