Volltext: Der Naturarzt 1890 (1890)

Tragweite der chemischen und mechanischen Einwirkung der Luft jetzt entschieden 
weit mehr bewußt, als in früherer Zeit und verlangt nicht mehr vom Arzt 
Wunderheilungen da, wo nur nach unwandelbaren Naturgesetzen verfahren 
werden kann. Die einfache Ueber'legung, daß eine Kur, welche den Magen 
zum Angriffspunkt wählt, sich der Lunge auf einem Umwege nähert, von dem 
es fraglich bleibt, ob er er überhaupt zu ihr führt, sollte zum Verlassen jenes 
veralteten Standpunktes veranlassen. 
Ganz ähnlich verhält es sich mit der Bedeutung der Jnhalations- 
methode, deren Wert immer noch eine offene Frage bildet. Wenn auch die 
Gewöhnung des Publikums, Arzneien nicht durch den Magen, sondern un 
mittelbar mit den Atmungsorganen aufzunehmen, schon ein Vorzug, so 
möchte ich mit Niemeyer*) die Ueberzeugung teilen, daß das Wirksame 
der Methode im Wesentlichen die damit verbundene Atemgymnastik bildet, 
während der Apparat hauptsächlich den Nutzen gewährt, daß er den Kranken 
eben zur Methodik und Ausdauer anleitet. 
Auch die Mineralwasserkuren können in ihrer Wirkung aus vor 
stehenden Gründen der atmiatrischen Kur nicht zur Seile gestellt werden. So 
weit ich die Lage der Kurorte, mögen sie als klimatische oder als Heilquellen 
zur Geltung kommen, übersehe, hat ihre Frequenz abgenommen, sofern nicht 
an diesen Orten Gelegenheit gegeben wird zu Lungengymnastik und Berg 
steigeübungen, und wenn ich recht vorhersehe, glaube ich nur diesen letzteren 
Orten eine gedeihliche Entwickelung in Aussicht stellen zu köallen. Wie kann 
man vom Gebrauch eines Mineralwassers Erfolge erwarten, da, wo nur die 
chemische und mechanische Wirkung der Luft in Betracht kommen kann? So 
wenig als man durch innerliche Anwendung von Medikamenten Eiter und 
Krusten von der äußeren Haut entfernen kann, so wenig Trinken von Mineral- 
waffer zu diesem, Zweck angebracht ist, ebenso wenig können auf diese Weise 
mit Schleimpfröpfen u. dergl. angefüllte Luftröhrenäste gereinigt, mechanische 
Hindernisse beseitigt werden. 
Daß auch die Klimatotherapie ohne Beihilfe der Atmiatrie wenig aus 
zurichten vermag, geht aus der Thatsache hervor, daß unter allen klimatischen 
Heilmitteln die Reinheit der Atmosphäre, sowie der Luftdruck die wirksamsten, und 
um so wirksamer sind, je mehr sie von der atmiatrischen Kur getragen werden. 
Ein Fall von Ehininvergistung. 
Von Dr. med. Disqud, Kreisarzt zu Thann i. E. 
Im Dezember vorigen Jahres wurde ich ganz unerwartet nach X. zu 
einer Consultation berufen zu einem 34jährigen Herrn, welcher an Lungenentzündung 
erkrankt war. Bei meiner Ankunft erklärte mir der behandelnde Arzt, daß die Sache nichts 
zu bedeuten habe, es sei nur ein kleiner Teil des linken oberen Lungenlappens entzündet. 
Die ganze übrige Lunge sei frei von Entzündung. Er habe große Dosen Chinin gegeben, 
wie man dies in diesem Ländchen immer thun müsse, da bei dem dort herrschenden Wechsel 
fieber alle Leute eine große Milz hätten. — 
Kaum näherte ich mich mit dem Collegen der Wohnung des Patienten, als zu meiner 
Überraschung in größter Eile ein Bote gelaufen kam und uns um rasches Kommen bat, da 
der Kranke am Sterben sei. — Als ich mit dem behandelnden Arzt in das Krankenzimmer 
trat, sah ich den Patienten, einen jungen, kräftigen Mann, bewußtlos daliegen. Die 
Lippen waren blau, ein Puls war nicht mehr zu fühlen. Patient hatte große Atemnot, 
aber kein Schleimrasseln, wie dies gewöhnlich den Tod bei einer Lungenentzündung anzeigt. — 
Es war mir sofort klar, um was es sich handelte: um eine Herzlähmung! Aber woher kam 
nun diese Herzlähmung, da der behandelnde Arzt mir einige Minuten vorher versichert hatte, 
daß es recht gut gehe, und daß keine Gefahr vorhanden sei? Beim Eintreten in das Kranken 
zimmer sagte mir sofort der Bruder des Patienten: „Der Anfall kommt von dem vielen 
Chinin, das wir nach Anordnung des Arztes gegeben haben. Jede Stunde sollten wir die 
* Die Lunge. 2. Ausl. Leipzig 1876. p. 136.
	        
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