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sein würde, deren Vorhandensein aber es ermöglicht, daß die Krankheit und
die Arznei überwunden werde. Die Arzneimittel sind nämlich mehr oder minder
alle dem Organismus schädliche Stoffe — Gifte. Mit Giften
will man a l s o K r a n k e g e s n n d machen, mit Giften, die Gesunde
krank machen und die daher Kranke noch kränker machen müssen. Allerdings
scheint dies nicht richtig zu sein, da man die Kranken unter Anwendung von
Medikamenten genesen sieht; dennoch ist es so; denn die Vertreibung einer
Krankheitserscheinung ist mit der Beseitigung der Krankheit, die erst mit der
Beseitigung ihrer Ursache fällt, noch keineswegs gleichbedeutend!
Eine logische Begründung dafür, daß ein Arzneimittel gegen die und jene
Krankheit helfen müsse, kann man absolut nicht erbringen, erfahrungsgemäß
oder richtiger: getreu der Überlieferung werden sie kritiklos angewandt und
jedesmal, wenn eine Krankheit unter Anwendung des Medikamentes und trotz
desselben zurückgeht, wird der zufällig angewandten Arznei diese vortreffliche
Wirkung nachgerühmt. — So sind denn alle möglichen Stoffe im Laufe der
Weltgeschichte gewürdigt worden, als Arzneimittel zu dienen. Das Pflanzen»
reich bietet die reichste Auswahl von dem unschuldigsten Kamillenthee, über
die Abführmittel Rhabarber, Senna, Aloö u. s. w,, Fiebermittel wie Chinin,
schkafmacheude und betäubende Mittel wie Opium, Morphium hinüber bis zu
dem indianischen Pfeilgift Curare, dem Herz gift Digitalis (Fingerhuts-
kraut) u. s. w. In zweiter Reihe marschirt das Mineralreich, welches
aber leider nicht ein einziges Mittel bietet, das unschädlich wäre; denn
schon das Kochsalz, das man noch täglich zu genießen gewohnt ist, ist
durch seinen täglichen Genuß nichts weniger als harmlos, vielmehr Ursache
vieler Krankheiten; das Eisen, welches in großen Städten von den armen
bleichsüchtigen Mädchen in kolossalen Mengen verbraucht wird, ist auch nichts
weniger als ein gesundheitsbeförderndes Mittel, manch langwieriges Verdauungs
leiden, manches beschädigte Gebiß datirt von einer Eisen- und Stahlkur her.
Phosphor, Arsenik, Zink, Wismuth, salpetersaures Silber (Höllenstein) sind
neben anderen beliebte Arzneimittel und das Schreckgespenst, die Quelle unge
zählten Elends, das Quecksilber, beschließt den würdigen Reigen. Die
organische Chemie hat in neuerer Zeit zahllose Kunstprodukte auf den Arznei-
mittelmarkt gebracht, die sich aber — denn Abwechslung muß sein — immer
nur einer kurzen Anerkennung erfreuen, um wieder anderen Platz zu machen.
Das Tierreich hat immer mehr an Ansehen eingebüßt. heute wendet man
nur noch Leberthran, Krebsaugen, Biebergeil und Moschus, sowie vielleicht
demnächst als identisches Produkt das Prof. Jägersche Anthropin (menschliches
Haarfett) an, während Kröten und Salamander, die Auswurfstoffe verschiedener
Tierarten u. s. w. schon in die Rumpelkammer gewandert sind, wohinein der
einst noch einmal der ganze A r z n e i s ch a tz nachfolgen wird!
Wie schon erwähnt, verschwinden unter Anwendung von Arzneien aller
hand Krankheitssymptome, was verständlich wird, wenn man die Krankheit
als eine Äußerung des Selb st er Haltungstriebes des Organis
mus , der sich gegen ihm widerfahrene Unbilden auflehnt, auffaßt. Sobald
dem Organismus dann neue Unbilden in Gestalt von Arzneigiften zugefügt
werden, wird seine Kraft zersplittert, er beschäftigt sich vorerst mit der nötigeren
Bewältigung der Arznei und die Krankheitserscheinungen gehen zurück, um
später einmal wieder unter anderer oder derselben Form aufzutreten. Dies
häufige Zurücktreten der Krankheiten ist ja bekannt, wie der Volksmund ja auch
oft ganz richtig von einer Versetzung der Krankheit spricht, wenn sich soge
nannte Folgekrankheiten anschließen, z. B. eine Nierenerkrankung an eine ge