Volltext: Der Naturarzt 1885 (1885)

147 
sein würde, deren Vorhandensein aber es ermöglicht, daß die Krankheit und 
die Arznei überwunden werde. Die Arzneimittel sind nämlich mehr oder minder 
alle dem Organismus schädliche Stoffe — Gifte. Mit Giften 
will man a l s o K r a n k e g e s n n d machen, mit Giften, die Gesunde 
krank machen und die daher Kranke noch kränker machen müssen. Allerdings 
scheint dies nicht richtig zu sein, da man die Kranken unter Anwendung von 
Medikamenten genesen sieht; dennoch ist es so; denn die Vertreibung einer 
Krankheitserscheinung ist mit der Beseitigung der Krankheit, die erst mit der 
Beseitigung ihrer Ursache fällt, noch keineswegs gleichbedeutend! 
Eine logische Begründung dafür, daß ein Arzneimittel gegen die und jene 
Krankheit helfen müsse, kann man absolut nicht erbringen, erfahrungsgemäß 
oder richtiger: getreu der Überlieferung werden sie kritiklos angewandt und 
jedesmal, wenn eine Krankheit unter Anwendung des Medikamentes und trotz 
desselben zurückgeht, wird der zufällig angewandten Arznei diese vortreffliche 
Wirkung nachgerühmt. — So sind denn alle möglichen Stoffe im Laufe der 
Weltgeschichte gewürdigt worden, als Arzneimittel zu dienen. Das Pflanzen» 
reich bietet die reichste Auswahl von dem unschuldigsten Kamillenthee, über 
die Abführmittel Rhabarber, Senna, Aloö u. s. w,, Fiebermittel wie Chinin, 
schkafmacheude und betäubende Mittel wie Opium, Morphium hinüber bis zu 
dem indianischen Pfeilgift Curare, dem Herz gift Digitalis (Fingerhuts- 
kraut) u. s. w. In zweiter Reihe marschirt das Mineralreich, welches 
aber leider nicht ein einziges Mittel bietet, das unschädlich wäre; denn 
schon das Kochsalz, das man noch täglich zu genießen gewohnt ist, ist 
durch seinen täglichen Genuß nichts weniger als harmlos, vielmehr Ursache 
vieler Krankheiten; das Eisen, welches in großen Städten von den armen 
bleichsüchtigen Mädchen in kolossalen Mengen verbraucht wird, ist auch nichts 
weniger als ein gesundheitsbeförderndes Mittel, manch langwieriges Verdauungs 
leiden, manches beschädigte Gebiß datirt von einer Eisen- und Stahlkur her. 
Phosphor, Arsenik, Zink, Wismuth, salpetersaures Silber (Höllenstein) sind 
neben anderen beliebte Arzneimittel und das Schreckgespenst, die Quelle unge 
zählten Elends, das Quecksilber, beschließt den würdigen Reigen. Die 
organische Chemie hat in neuerer Zeit zahllose Kunstprodukte auf den Arznei- 
mittelmarkt gebracht, die sich aber — denn Abwechslung muß sein — immer 
nur einer kurzen Anerkennung erfreuen, um wieder anderen Platz zu machen. 
Das Tierreich hat immer mehr an Ansehen eingebüßt. heute wendet man 
nur noch Leberthran, Krebsaugen, Biebergeil und Moschus, sowie vielleicht 
demnächst als identisches Produkt das Prof. Jägersche Anthropin (menschliches 
Haarfett) an, während Kröten und Salamander, die Auswurfstoffe verschiedener 
Tierarten u. s. w. schon in die Rumpelkammer gewandert sind, wohinein der 
einst noch einmal der ganze A r z n e i s ch a tz nachfolgen wird! 
Wie schon erwähnt, verschwinden unter Anwendung von Arzneien aller 
hand Krankheitssymptome, was verständlich wird, wenn man die Krankheit 
als eine Äußerung des Selb st er Haltungstriebes des Organis 
mus , der sich gegen ihm widerfahrene Unbilden auflehnt, auffaßt. Sobald 
dem Organismus dann neue Unbilden in Gestalt von Arzneigiften zugefügt 
werden, wird seine Kraft zersplittert, er beschäftigt sich vorerst mit der nötigeren 
Bewältigung der Arznei und die Krankheitserscheinungen gehen zurück, um 
später einmal wieder unter anderer oder derselben Form aufzutreten. Dies 
häufige Zurücktreten der Krankheiten ist ja bekannt, wie der Volksmund ja auch 
oft ganz richtig von einer Versetzung der Krankheit spricht, wenn sich soge 
nannte Folgekrankheiten anschließen, z. B. eine Nierenerkrankung an eine ge
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.