Volltext: Der Naturarzt 1884 (1884)

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ich trotz der vielen entstellenden Darstellungen, welche sie sich hat gefallen lassen müssen, 
als bekannt voraussetze; nur eines darf ich nicht mit Stillschweigen übergehen, daß näm 
lich Hahnemann, nachdem er eine Reihe von Arzneisubstanzen an gesunden Menschen patho 
genetisch geprüft und gesunden hatte, daß die je darauf nachfolgenden organischen Reaktions 
erscheinungen zu denjenigen Krankheiten, als deren spezifische Heilmittel jene schon zu seiner 
Zeit rohempirisch erkannt worden waren, im genauesten Verhältnisse zur Ähnlichkeit stünden, 
auf das V o r h a n d e n s e i n eines N a t u r g e s e tz e s schloß, welches als Regel den 
Heilprozcß bestimme; er hat es, nachdem das darauf gestützte klinische Experiment/welches 
ihn auf die Rarefaktion der als Arznei dienenden Substanz, als Bedingung der naturge 
setzlichen Heilwirkung führte, dessen Vorhandensein bestätigt hatte, als Ähnlichkeits 
gesetz bezeichnet! Similia similibus. 
Ich Will das Weitere übergehen, was Verf. nun zur Erklärung der Wissen 
schaftlichkeit der Homöopathie vorbringt und bloß noch den Passus wörtlich 
mitteilen, wo er den Angriff Prof. V i r ch o w s in seinem Vortrag auf dem 
internationalen ärztlichen Kongreß zu London abwehrt, in welchem derselbe 
die homöopathischen Ärzte mit den sog. Naturärzten auf gleiche Stufe 
stellt. Er sagt wörtlich: 
Ich wollte, ich wäre vermöge spezifischer geistiger Begabung würdig, auf eine Stufe 
z. B. mit Vincenz Prietznitz gestellt zu werden. Leider ist es „zu tief gefühlt", 
daß mir die geniale Selbständigkeit abgeht, welche einen 17jährigen Bauerssohn vermochte, 
die kabbalistischen Schriftzeichen der Dorfveterinäre als an der heilsamen Wirkung feuchter 
Kompressen unbeteiligt zu erkennen und letztere an seinem eigenen beschädigten Leibe 
zu prüfen ! Auch über P r i e ß n i tz wurde ansänglich das akademische Anathema verhängt. 
Und nun? Nicht mehr allein von sogenannten Naturärzten werden seine Manipula 
tionen geübt, sondern sie sind jetzt von dem gesamten ärztlichen Stande ohne Unter 
schied der Schulen, selb st von den Kathedern herab, sanktwnirt worden! 
(noch nicht ganz! D. Red.) Cur enim Priessnitzio potius credam, quam Haknemannio ? 
Es ist ganz unzweifelhaft, daß vermittelst des Prichnitzschen und auch des 
Schrothschen Verfahrens, in Verbindung mit einer rationellen Diätetik und unter Aus 
schluß jedes arzneilichen Eingriffes günstige Genesungsbedingungen herbeige 
führt werden; zwischen der spontanen Genesung aber und der K u n st h e i l u n g , 
welche toto feuere von einander verschieden sind, liegt eine himmelweite Kluft, 
welche zu überbrückt n d'e Bestimmung und das Verdienst Hahnemttnns war. Wenn in 
folge der elterlichen Zeugungsenergie das Leben des erkrankten Individuums einen länger 
währenden Verlauf nimmt, als derjenige ist, welcher dem Leben des Krankheitsprozesses 
zukommt, so erfolgt die Genesung, wenn auch unter erheblichem Verluste an organischer 
Substanz und Kraft und mit Hinterlassung eines vom Typus abweichenden Geleises, in 
welches bei dem ersten Anlaß der Organismus leicht rezidivirt. Die K u n st h e i l u n g 
dagegen, welche zuerst Hahnemann ermöglicht und gelehrt hat, bewirkt die direkte 
Involution oder Reduktion des Krankheilsprozesses; aus dem Prozeß wird ein Rezeß, 
welcher auf gleicher Linie vor sich, genauer: hinter sich, geht und zwar unter er 
heblicher Beschränkung des Verlustes an organischer Substanz und Kraft, ohne 
sogenannte Krisen und mit Sicherstellung vor Rezidiven, selbst im 
Falle erneuerter oder dauernder Einwirkung der vormaligen okkasionellen Krankheitsursache. 
Das erste therapeutische Gebot: „tolle causam“ erfüllt das H a h n e m a n n sche Heilverfahren, 
indem es dasselbe, nicht auf die okkasionelle, sondern auf die konstitutionelle Krankheits 
ursache deutet und richtet! — Wohl, warum sollen wir nicht lieber zugleich Natur 
ärzte und Heilkünstler sein? Wer in der That sich darum bemüht, wird aber immerhin 
den Heilkünstler über den Naturarzt stellen, denn jener vermag in der That selbst dann 
die Krankheitsheilung zu vollziehen, wenn, wie es in der Privatpraxis nicht selten sich er- 
eignet, jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, äußere Genesungsbedingungen herbeizuführen; 
der Heilkünstler kann den Naturarzt, nicht aber dieser jenen 
missen! 
Oho, oho! Damit kann ich mich nun und nimmermehr einverstanden er- 
klären, denn wenn ich auch gern zugeben will, daß in dem Bille rs scheu 
Diphtheriefalle die Homöopathie mit ihrem o^anru-otuill mercurii ohne 
Zweifel den Vogel abgeschossen hat, so kann ich doch in meiner über 30jäh- 
rigen Karriere als Wasserdoktor eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Krank 
heitsfällen akuter wie chronischer Ärt als in Behandlung gehabt auf-
	        
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