der Erschütterung und dem Schrecken davon. Soweit wäre die Sache für meine Person
ohne wesentliche Bedeutung gewesen, da den weniger Glücklichen indessen Hilfe not that.
so legte ich, da langes Besinnen in derartigen Fällen meine Sache nicht ist, sofort Hand
und dabei geschah es, daß mir eine schwere Koupeelampe von oben herab über dem
rechten Ohr auf den Schädel schlug. Der Schlag war hart, die Empfindung momentan
sehr schmerzhaft, allein in der Aufregung und durch mein Thätigsein vergaß ich bald meinen
Schmerz über dem Leiden der anderen. Auner einem dumpfen Gefühl und
öfteren Sumsen nahm ich in der ersten Zeit nachher auch weiter nichts wahr, als
daß ich an der betroffenen Stelle einen leichten Reiz empfand, der mir aber nickt das ge
ringste Bedenken einflößte. Im Laufe des nun folgenden strengen Winters entwickelte sich
indessen ein periodischer, stets intensiver werdender Kopfschmerz, der stets von
der b troffenen Stelle über dem rechten Ohr seinen Ausgang nahm, daselbst manchmal
haften blieb, zumeist aber strichweise im — Kopfeherum wanderte, um
zuletzt stets an der betr. Stelle wieder zu verschwinden, dabei
hatte ich nachgerade das Gefühl, als sei im Innern des Schädels
an der betr. Stelle etwas los oder wund. Die Geschichte fing mir nun an
bedenklich zu werden und auf Anraten meines Arztes suchte, ich mit kalten Umschlägen, die
ich bis zum Auflegen von Eisbeuteln steigerte, dem Übel zu begegnen, allein mit
sehr negativem Erfolg, denn in dem Maße, wie ich die Temperatur der Kompressen
herabminderte, in dem Maße rasender wurden meine Schmerzen!
Ich hatte diese Prozedur schon öfter mit demselben Resultat durchgemacht und kam einmal,
nachdem ich bereits 2 Tage und 3 Nächte im elendesten Zustande zugebracht, soweit, daß ich
alles Nasse und Kalte von mir warf und warme wollene Tücher verlangte, die mir als
bald Linderung verschafften, von Heilung war indessen keine Spur. Ich hatte auf diese
Weise doch wenigstens ein Mittel, mein Leiden erträglich zu machen, da bie lindernde
Wirkung bei Anwendung dieser warmen Wolltücher nie ausblieb. Eigentümlich bei
meinem Leiden war, daß dasselbe fast immer des Nachts und während des Schlafs
zum Ausbruck kam und ich mir zumeist keine Ursache davon erklären konnte.
Mittlermeile waren 3 Jahre dahingegangen, mem Leiden nahm eher zu als ab,
mein Gedächtnis fing an, mich häufig im Stich zu lassen, meine Arbeitskraft
begann zu erlahmen, oft überfiel mich eine gewisse Mutlosigkeit und unerklärliche
Angst, so daß ich mir oft selbst Vorwürfe über meine Thorheit machte, allein damit
wurde ich nicht gescheiter und mein Leiden nicht geringer. Da mir dieser Zustand in
allen Beziehungen höchst hinderlich war und ich mich mit Kopfgicht, Migräne und allem
möglichen behaftet glaubte, so suchte ich wieder Rat und Hilfe beim Hausarzt und bekam
Salizyl; das wirkte im Anfang ganz überraschend, allein nach längerem Gebrauch ver
schwand diese Wirkung gänzlich und ich hatte die alte Geschichte! Nun riet
mir eine sehr erfahrene alte Frau, meinen Kopf mit Chloroformöl und Arnika
tinktur tüchtig einzureiben und mir jedesmal über den Kopf blasen zu lassen. Da
ich das Blasen sein ließ, so half natürlich auch das Einreiben nicht! Nun wusch ich
meinen Kops mit Cognac, mit Essig u. s. w., allein alles vergebens; wenn mir auch ein
mal Linderung wurde, so war das gewiß zufällig. Ich wußte mir nun nicht mehr weder
zu raten noch zu helfen. Meine Stimmung wurde immer düstrer, mein Kopf schwächer,
ich konnte recht gedankenlos lange Zeit am Pult oder Zeichenbrett sitzen, um dann ohne
was gethan zu haben, einen einsamen Spaziergang zu machen. Das Angstgefühl
wurde immer zudringlicher, mein Gemüt immer reizbarer, so daß
ich mich oft nur mit äußerster Gewalt beherrschen konnte. Manch böser Gedanke beschlich mich
in stiller Nacht und klar empfand ich , wie leicht möglich und ausführbar ein S e l b st -
m o r d sei, um einem schlimmen Leiden für immer zu entgehen! Ich trotzte aber den
Lockungen des Bösen und machte mir um so mehr klar, daß mein Zustand nicht mehr lange
so andauern dürfe, ohne mir die größten sanitären und pekuniären Nachteile zuzuziehen!
Da hielt ich mit meinem klugen Weibchen einen Sanitätsrat ab und es riet mir:
„Schreibe an W o l b o l d !" worauf ich sagte: „Du hast recht und noch mehr — ich reise
lieber gleich zu Wolbold hin, sobald ich loskan'n," und darauf habe ich Ihnen die Kazüe ge
schrieben und nun haben Sie den Lazarus vor sich, der seine einzige Hoffnung noch aus Sie setzt.
Nachdem ich mir den Lazarus nun aufmerksam betrachtet, auch seinen
Schädel untersucht und bez. seiner bisher geführten Lebensweise ausgefragt
hatte, sagte ich zu dem kräftig gebauten, wohlgenährten Mann in den 40er
Jahren: .,Jhr Zustand rührt von der innerlichen Verletzung bei dem Eisen
bahnunfall her. welche noch nicht geheilt ist, weil der natürliche Heilprozeß
damals durch die unsinnige Eisbehandlung künstlich gestört, statt beför
dert wurde; wir müssen trachten, diesen lahmgelegten Heilprozeß wieder