Volltext: Der Naturarzt 1884 (1884)

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Resultaten! Die Geschichte der Medizin weist genug Beispiele auf, wo bei ver 
schiedenen Epidemien einer und derselben Krankheit bei gleicher Behandlung 
das eine mal ganz günstige und das andere mal sehr ungünstige Resultate 
zum Vorschein kamen; man hat daher das Märchen vom bösartigen oder gut 
artigen Charakter der Epidemien erfunden, als ob eine Epidemie, die ja nichts 
ist, als eine Summe von Einzelfällen, einen Charakter haben könnte; da müßte 
es in einer Typhusepidemie auch gutartige und bösartige Typhusbakterien geben! 
Nein! der infektiöse Insult ist immer eine konstante Größe, verschieden sind 
nur die Sanitätsverhältnisse der befallenen Örtlichkeit und der Grad der 
Widerstandsfähigkeit der einzelnen Befallenen, daher muß auch die Berücksichti 
gung der beiden letzten Verhältnisse ein viel bedeutenderes Moment in der 
Behandlung abgeben , als die etwaige Vernichtung der Bakterienbrut, welche 
durch die Administration von spezifischen Mitteln wenigstens bis jetzt nicht 
hat glücken wollen. Koch selbst sagt, daß ein gesundes Lungen- und Darm- 
Epithel der beste Schutz gegen die Tuberkelbazillen sei. 
Was die weiteren Empfehlungen spezifischer Mittel betrifft, so sind wir in 
den letzten Jahren (und eigentlich von jeher) so oft durch die Empfehlung der 
artiger Mittel an der Nase herumgeführt worden (wir erinnern 
nur an das benzoösaure Natron gegen Tuberkeln, Cyanquecksilber gegen 
Diphtheritis u. dergl.), daß es nur natürlich ist, wenn man nachgerade miß 
trauisch gegen derlei Anpreisungen wird. Die Empfehlung der Caffeinsalze 
bei Herzkrankheiten ist nichts neues, aber man wird damit ebensowenig, wie mit 
der Digitalis eine Herzkrankheit heilen, wenn auch eine temporäre Erleichterung 
zugegeben werden kann. Die Dünndarmpillen gehören zu den pharmazeutischen 
Spielereien, wie sie jedes Jahr von der stets schwangeren Materia medica neu 
ausgebrütet werden. Wundern mußten wir uns, daß auch Herr Roßbach mit 
zwei neuen spezifischen Mitteln hervorgetreten ist (Naphtalin und Papayotin), 
nachdem er erst vor kurzem („Ärztliches Vereinsblatt", Märzheft 1884) die schnelle 
Aufeinanderfolge einer ganzen Reihe von spezifischen Desinfektionsmitteln so 
köstlich p e r s i f l i r t hatte. Wie aber, wenn die Spezifika gegen die Infektions 
krankheiten ebenso schnell einander ablösen, als die von Roßbach verhöhnten 
Desinfektionsmittel, was nach den neuesten Erfahrungen gar nicht so unwahr 
scheinlich ist? Wo bleibt denn die rosige Farbe der Hoffnung? Wie ging es mit 
der Tuberkulose, einer Krankheit, die mehr Menschen tötet, als alle Pesten? 
Hat man nicht einst über den Baryt, das Quecksilber, den Schwefel, den Spießglanz, 
das Jod, den Leberthran, den Malzextrakt alles das erfahren, was man sich von 
den neuen Mitteln gegen die Tuberkeln verspricht? Und wird man nicht einst von 
den neuen Mitteln alles das erfahren, was man von den alten jetzt weiß: daß 
sie nichts nützen! Mögen die Beschützer der Spezifika ihr jeweiliges Schoß 
kind immer pflegen und liebkosen; ist es nur erst großgezogen, so werden sie an 
ihm den ungeratenen Taugenichts ebenso erkennen, wie an allen andern! 
Das Herumtappen nach spezifischen Mitteln, wobei noch niemals etwas Ge- 
scheidtes herausgekommen ist, und das Zurückgreifen auf die nackte Empirie 
der medizinischen Statistik scheint uns ein bedenklicher Weg zu sein und in 
dieser Beziehung sind wir stolz auf den Namen „Nihilisten", weil wir 
von einer aus solch' schwankendem Grund erbauten Therapie buchstäblich 
„Nihil“ halten. — Zuerst müßte vor allem andern entschieden sein, ob wir 
zur Heilung (nicht von Krankheiten sondern) von Kranken überhaupt spezifische 
Mittel brauchen, was nach den vieljährigen Erfahrungen der exspektativen 
Methode, der Homöopathie und Hydrotherapie, jedenfalls höchst zweifel 
haft ist. Oder sollen wir andächtig warten, bis die Herren Spezifiker auch
	        
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