Volltext: Der Naturarzt 1884 (1884)

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Aber auch die Anwendung des Thermometers zur Bestimmung der Behand 
lung stammt nicht von den Akademien, sondern ebenfalls von einem Hydro 
pathen, dem Vorstand der Wasserheilanstalt Boppard, Dr. H a l l m a n n (Über 
eine zweckmäßige Behandlung des Typhus. Berlin 1844). Also mit diesem 
* Fortschritt braucht sich die orthodoxe Medizin nicht zu brüsten, dieses Verdienst 
fällt voll und ganz auf die Seite der Hydropathen! 
Was nun ferner die frohe Farbe der Hoffnung betrifft, welche das vom 
Kongreß vorgeschlagene großartige Unternehmen Roßbachs dem zukünftigen 
therapeutischen Gemälde geben soll, so ist es eben auch nur eine Hoffnung, die aber 
bei näherer Betrachtung dem Gemälde eine mehr graue, als rosige Farbe giebt. 
Also: eine für die Behandlung der Infektionskrankheiten (wozu bald alle 
akutin Krankheiten zählen) eingesetzte Kommission soll alljährlich die (Arznei-) 
Mittel zur Bebandlung der Infektionskrankheiten bestimmen, welche überall 
gleichmäßig gebraucht werden sollen, sowohl von den Ärzten der Kranken 
häuser, als den praktischen Ärzten, dann werde man über ein enormes Kranken 
material verfügen und könne schon noch einem Jahre über den Wert der 
Mittel ein endgiitiges Urteil abgeben. — Also nichts mehr und nichts weniger, 
als eine neue Auflage der alten statistischen Methode, welche, wenn sie 
auch in andern Gebieten zu anerkennenswerten Resultaten geführt hat, in der 
Arznciwissenschast jedesmal gründlich Fiasko machte! Schon Wunder 
lich und Griesinger haben sich lei Besprechung der statistischen Methode 
von Louis und Gavarret dahin ausgesprochen, daß diese Methode allein 
^ nicht zur Konstruktion therapeutischer Prinzipien dienen könne. 
Und ein französisches Sprüchwort sagt: „La statistique se rend, comme 
une fille publique, au premier venu“ („Les Mondes“) und ein englisches: 
„Statistics can be made to prove anything“ („Edinburgh med. Journal“). 
Es giebt überhaupt nichts Gefährlicheres in der Medizin, als das zeitliche 
Zusammentreffen zweier Thatsachen (post hoe ergo propter hoc) ohne weiteres 
ätiologisch verwerten zu wollen. Man würde ferner bei jener Methode, einzelne 
Krankheiten mit bestimmten Mitteln zu bekämpfen, stets nur die Krankheit 
nach ihrem Namen behandeln, anstatt für das kranke Individuum zu sorgen. 
Wie nun aber, wenn eö bei der spezisischen Behandlung sowohl eines ein 
zelnen Kranken immer schlcchier geht, als auch bei der ganzen Epidemie immer 
mehr sterben? Wählt man ein zweites oder ein drittes Probemiltel, so wird 
die Rechnung mehr oder weniger unbrauchbar, soll man aber trotz der un 
günstigen Fälle mit dem einmal vorgeschriebenen Probemittcl fortmachen, wie 
viele Ärzte würden sich wohl sindcn, die um diesen Preis die erforderliche 
Anzahl vergleichbarer Fälle erkaufen wollten, und was würden die Kranken 
dazu sagen? Es ist überhaupt etwas bedenkliches um das Suchen nach spezi 
fischen Mitteln, die sich fast alle der Reihe nach als unbrauchbar erwiesen 
haben. Die Spezifität ist, wie Griesinger sagt, die therapeutische Onto 
logie, und wie die pathologische Ontologie am Ende auf das Namenhaben hinaus 
läuft, so weiß auch jene nichts, als hinter Krankheitsnamen Arzneinamen zu setzen. 
Aber auch die günstigsten Fälle angenommen, erstens, daß sich die Mehr 
zahl der Ärzte dazu hergebe, sich die Behandlungsart ihrer Kranken von 
Berlin aus oklroyiren zu lassen, und zweitens angenommen, daß eine solche 
Behandlung einmal ganz gute (scheinbare) Resultate giebt, so ist damit noch 
gar nicht bewiesen, daß es bei der nächsten Epidemie ebenso gehen wird. 
Wer erinnert sich hier nicht an Andral, der sich durch die günstige Statistik 
von Bouillaud's Aderlaßtherapie beim Typhus bestimmen ließ, ebenfalls diese 
_ Behandlung zu versuchen, aber bald ausrief, er sei „reculb effrayö“ vor seinen
	        
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