Volltext: Der Naturarzt 1884 (1884)

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Wochen möglichst erträglich zu machen; ich eilte zurück zur kranken Frau, um 
hier mit ihr zu leiden, ja gewiß noch mehr zu leiden als sie selbst, nämlich 
zu leiden moralisch! Außer diesen zweien hatte ich noch den kleinen, hilflosen 
Alwin, der künstlich aufgefüttert werden mußte, indem der Zustand der Frau 
die Stillung nicht gestattete. 
Ich sehe mich veranlaßt, in dieser Mitteilung weiter auszuholen, auf daß 
so manches Warum sein Darum finde und man nicht etwa der vegctarianischen 
Lebensweise all diese bösen Erscheinungen in die Schuhe stecke, wie unsere 
Gegner bei derartigen Erfahrungen allzugern« zu thun Pflegen. Nun zur 
Sache! 
Meine Frau Ottilie warb ich aus einer geachteten Familie und ihr Vater, 
gewesener k. k. Notar, war einer jener, die alles thun, ihren Kindern die beste 
Ausbildung zu geben. Ottilie wurde daher kaum 5 Jahre alt in die Schule 
gebracht. Damit aber noch nicht genug, erhielt sic außer dieser Privatunter 
richt zunächst in Handarbeiten, später in Musik und anderen bildenden Unter 
richtszweigen. Mit 12 Jahren ward die Volksschulbildung abgeschlossen und 
nach einer zweijährigen Unterbrechung, eine Zeit, die ebenfalls nur wieder mit 
Lernen ausgefüllt wurde, kam sie bis zum 17. Lebensjahre in ein Pensionat, 
wo sie in den modernen Bildungszweigen den Unterricht fortsetzte, in einer 
Weise aber, die unbedingt die körperliche Entwicklung schädigen und schon frühe 
die Grundlage zu einem schwächlichen Organismus vorbereiten mußte. Denn 
neben den obligaten Schulstunden (sie machte auch den Lchrerinnenkurs durch, nicht 
etwa, um diesen Beruf später zu ergreifen, sondern nur zu dem Zwecke, auch 
diesen Unterricht genossen zu haben) nahm sie noch eine Reihe anderer Lektionen 
in Musik, Zeichnen, Sprachen, und cs blieb ihr oft kaum Zeit zum Einnehmen 
des Essens; von einem Spazwrgange, einer Bewegung im Freien war keine 
Rede. So lobenswert nun die Tendenz ihres verstorbenen Vaters war, so 
unpädagogisch und sanitätswidrig war der ganze Bildungsgang und die bösen 
Folgen zeigten sich auch bald. Im 16. Lebensjahre stellte sich die Bleichsucht 
ein, die sie nie mehr ganz verließ als Folgewirkung der sitzenden Lebensweise 
in der Zimmerluft; Appelitmangel, wenig, teilweise nur leiser Schlaf, alles 
das, was so recht die Gesundheit untergräbt, stellte sich ein. Rheumatismus 
als eine weitere Folge einer sogenannten guten (gemischten) Kost gesellte sich 
zu allem dem noch — sie war kurz gesagt ein Bild unserer heutigen Erziehung» 
überladen am Geiste, kränkelnd und schwächlich am Körper. 
So führte ich sie am 22. November 1881 als meine Frau heim und von 
dieser Zeit an ist sie auch Vegetarianerin. Ihr Gesundheitszustand war kein 
guter, sie hustete viel, vermochte nur weniges zu essen und selbst das machte 
ihr viele Schmerzen im Magen, sie fühlte Schmerzen in der Brust, im Rücken, 
nahezu überall. Die Folge von all diesem war ein Abortus im 6. Monate 
ihrer Hoffnung am 17. Juni 1882, der sie sehr schwächte. Auffallender Weise 
dauerten die Übelkeiten bis September desselben Jahres fort. 
Obwohl meine Frau von allen Seiten hören konnte, hören mußte: das ist 
die Folge der vegetarianischen Lebensweise! so blieb sie ihr doch tapfer treu 
und zwar deshalb, weil sie mir die Treue auch in dieser Frage gelobte, und 
diese zu brechen ihrem entschiedenen Charakter ferne liegt. 
Vom September an trat eine Besserung ein, sie erholte sich wieder gut 
und fühlte sich vom 28. Januar 1883 an neuerdings Mutter. Doch wie ganz 
anders war es jetzt. Während der ganzen Schwangerschaft war sie sehr gesund 
und sah auch relativ blühend aus. Regelmäßig wusch sie sich morgens mit 
kaltem Wasser und Handtuch ab , nahm oft Flußbäder und dies auch dann
	        
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