Volltext: Der Naturarzt 1884 (1884)

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ohne Verletzung des Anstandes, anwendbar. Ob mit Erfolg? Dafür ist nicht 
„Vater Hahnemann" verantwortlich, sondern Ihre Arzneimittelkenntnis. Es 
genügt nicht, hundert oder mehr Arzneimittel bequem in der Rocktasche zu 
tragen, man muß sie auch im Kopfe haben; und das ist freilich unbequem. 
— Sie sehen, daß die von Ihnen für die Vorzüglichkeit der Hydrotherapeutik 
gegenüber der Homöopathie angeführten Beweise nicht hinreichend begründet 
find, um als solche gelten zu können. Ganz verfehlt, weil fingirt und über 
das Ziel hinausschießend, aber ist derjenige, zu welchem Sie sich pag. 76 
Z. 5 v. o. ff. versteigen, indem Sie sagen: „Aber umgekehrt wüßte 
ich keinen Fall, in dem mir ein Patient abgesprungen 
wäre, um bei der Homöopathie Hilfe zu suchen". Sie wissen 
von keinem solchen Falle. Offenbar haben Sie damit sagen wollen, daß er 
sich bis dahin noch nicht ereignet habe (vielleicht wohl gar niemals sich ereignen 
kann?). Verzeihen Sie mir. wenn ich dieser Ihrer Behauptung auf gründ 
meiner eigenen Erfahrung schnurstracks widerspreche, von welcher ich anzunehmen 
genötigt bin, daß außer mir auch andere Ärzte, und nicht nur homöopathische, 
sie werden gemacht haben, auch wohl in Zukunst noch machen werden. Es 
sind seit meiner Niederlassung in Dresden bis heute nahezu sieben Jahre 
abgelaufen. Nicht weniger sind der Patienten, welche nach vergeblicher hydro- 
pathischer Behandlung, welche Sie, verehrter Herr, geleitet hatten, bei mir nach 
homöopathischem Rate sich umgethan haben. Ob diese von Ihnen eingeheilt 
geblieben waren, danach aber von mir vermittelst homöopathischer Arzneien 
geheilt oder nicht geheilt worden sind, bleibe hier unerörtert. Es galt mir 
nur, zu konstatircn, daß Sie etwas, bloß weil es Ihrem Willen gemäß ist, 
für wirklich angenommen haben, was doch wohl einen Beweis nicht abgeben 
kann. Wenn ich es mir damit so leicht machen wollte, wie Sie mir das 
Beispiel geben, so könnte vielmehr ich einen in meiner Erfahrung stehenden 
Fall zu dem Zwecke anführen, die Nutzlosigkeit der hydrotherapeutischen Behand 
lung der Diphtherie darzuthun. Dies aber ist mein Zweck nicht. Der Fall 
war folgender: 
Einer Ihrer Konkurrenten, Hydrotherapeut und Naturarzt wie Sie, welchem 
sein eigenes 2 Jahre alles Söhnchcn an Diphtherie erkrankt war, hatte die 
von Ihnen pag. 76 empfohlenen hydrotherapeutischen Apparate ungesäumt in 
Anwendung gebracht, daneben auch dem kranken Kinde mehre homöopathische 
Arzneimittel in relativ massiven Gaben dargereicht. Nachdem im Verlaufe 
mehrer Tage der Krankheitsprozeß an Intensität und Extensität gewonnen 
und namentlich auch auf den Kehlkopf sich ausgebreitet hatte, wurde mein Rat 
verlangt. Ich fand außer den bekannten in Mund- und Rachenhöhle zu beob 
achtenden Erscheinungen hochgradiges Fieber, große Unruhe, erschwertes Atmen, 
bellenden Husten, verminderte Harnsekretion, kurz alle diejenigen Zeichen, an 
welchen ein schwerer Fall von Diphtherie erkannt zu werden pflegt; dazu hoch 
rote Färbung und Gedunsenheit der Antlitzhaut. Daß die letztgenannte 
Erscheinung von der nicht einmal sonderlich fest anliegenden feuchten Hals 
packung herrühre, welche auch das ohnedies mühsame Atmen des kleinen 
Diphtherikers noch zu erschweren schien, leuchtete mir sofort ein. Ich ließ 
deshalb diese schleunig entfernen und den Hals in ein leichtes Tüchlein hüllen. 
Nachdem ich noch angeordnet hatte, den Patienten völlig in Ruhe zu lassen 
und diese durch keinerlei Manipulation ferner zu stören, reichte ich eigenhändig 
dem Patienten eine Gabe von 5 Körnchen der dreißigsten Verdünnung des 
Cyan-Quecksilbers und hieß dieselben alle zwei Stunden wiederholen, so lange 
als Patient in wachem Zustande sich befinde. Es trat alsbald Schlaf ein.
	        
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