Volltext: Der Naturarzt 1880 (1880)

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Ueber persönliche Gesmdheitspßege. 
Von vo. W. Albert Haupt in Chemnitz. 
(Fortsetzung.) 
Beobachten wir weiter mit kritischem Auge unser Thun und Treiben! 
Begehen wir nicht täglich, ja stündlich die gröbsten Verstöße gegen 
die Gesnndheitslehre in Bezug auf das Athmen? Wir Alle wissen, 
daß der Mensch mehre Tage lang ohne Speise und Trank zu leben ver 
mag, aber nicht fünf Minuten ohne Luft. Drei Mahlzeiten genügen 
pro Tag vollständig zur Erhaltung unseres Wohlseins, aber in der gleichen 
Zeit müssen wir' beinahe 30 000 Mal Athem holen, um existiren zu 
können. Sollten diese allbekannten Thatsachen nicht schon hinreichen, uns 
die stete Sorge für reine, frische Luft zur gebieterischen Pflicht, uns überhaupt 
zu den eifrigsten Luftfreunden zu machen? Ueber die Güte und Schmack 
haftigkeit unserer Nahrung wird mit peinlicher Sorgfalt gewacht; Behörden 
und Vereine spüren mit rastlosem Eifer den Verfälschungen der Lebensmittel 
nach; ein Haar in der Suppe, eine Fliege im Compot, eine Schnecke im 
Salat raubt dem Ruhigsten die Fassung; aber ob die Atmosphäre, die uns 
umgiebt, rein oder verpestet ist, darum bekümmert sich äußerst selten Jemand 
und läßt es sich doch einmal Einer beikommen, so darf er mit Sicherheit 
darauf rechnen, als Sonderling oder Hypochonder bespöttelt zu werden. Wir 
empsinden den heftigsten Ekel bei dem bloßen Gedanken, Wasser über unsere 
Lippen zu bringen, in dem sich ein Schmutziger gebadet, sitzen aber stundenlang 
ohne Scheu in raucherfüllten, mit Menschen vollgestopften Restaurationen oder 
in dichtbesetzten Conccrtsälen und Theatern und ziehen ohne Widerwillen mit 
Mund und Nase eine Luft ein, die unzählige Male so und so viele, mitunter 
recht kranke Lungen passirt hat, thun also Etwas, was, streng genommen, 
mindestens ebenso ekelhaft ist, als das Trinken aus einer Badewanne. Viele 
scheinen die freie, frische Luft geradezu als einen Stoff zu betrachten, den man nur mit 
äußerster Vorsicht genießen dürfe, und sobald dieselben einmal Schnupfen oder 
Husten bekommen, was solchen Luftscheuen sehr häufig geschieht, so hüten sie 
sofort das Zimmer und halten Thüre und Fenster ängstlich verschlossen - 
eine unverzeihliche Thorheit! — Ihrem kranken Magen würden sie ge 
wiß nicht verdorbene Speisen und Getränke zu bieten wagen, aber ihren kranken Respi 
rationsorganen meinen sie ungestraft die K l o a k e n l u f t einer unventilirten Stube 
zuführen zu können. Den schärfsten Tadel aber verdient es, wenn luftscheue 
Eltern ihre Kinder nur bei warmem, ruhigem Wetter, niemals aber bei Regen, 
Wind und Kälte in's Freie lassen. Die armen Kleinen sind in Folge dessen 
gewöhnlich fortwährend mit Luftröhrenkatarrhen geplagt und ganz außerordent 
lich zu Hals- und Lungenentzündungen und Bräune dssponirt. Prof. B i e r m e r', 
einer der geachtetsten Kliniker der Gegenwart, nennt die Luftschen geradezu die 
Wurzel der bei uns immer mehr überhand nehmenden Lungenschwindsucht. 
Jedenfalls ist die Thatsache, daß heutzutage in Deutschland, wo es unter Laien 
und Aerzten mehr Luftscheue als irgend anderswo giebt, der sechste Theil aller 
Gestorbenen an Lungenkrankheiten zu Grunde gegangen, der höchsten Beachtung 
und Berücksichtigung werth. Am meisten gegen die Gesetze der Hygieine wird 
in unseren S ch l a fft u 6 e it gesündigt. Bedenkt man, daß wir in denselben den 
dritten Theil unserer Lebenszeit verbringen und daß der Schlaf nicht blos dazu 
dient, Ruhe nach überstandener Last und Mühe zu gewähren, sondern auch 
dazu, einen größeren Vorrath von Sauerstoff für die Arbeitsleistung des 
kommenden Tages aufzuspeichern; erwägt man ferner, daß ein erwachsener
	        
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