Volltext: Der Naturarzt 1880 (1880)

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Was die Entstehung des spezifischen Giftstoffes anbelangt, so suche ich diese 
einmal in unsern ungünstigen hygienischen Verhältnissen überhaupt, die ja be 
kanntlich vielfach so verkehrt als möglich sind. Speziell muß ich aber die 
schlechten Kloaken-Einrichtungen beschuldigen. Ich konnte wenigstens häufig 
beobachten, daß in denjenigen Häusern, wo die Vorzüglichkeit der Kloake schon 
beim Betreten der Häuser sich durch ihren Geruch auffallend bemerklich machte, 
die Erkrankungen an Diphtheritis am häufigsten vorkamen; ebenso war dies 
der Fall bei Kindern, deren Schlafzimmer neben dem Abtritt gelegen 
war. Mehr als einmal glaubte ich auch sicher constatiren zu können, daß auf 
Schul- und Eisenbahnabtritten sich einzelne Kinder die Krankheit holten. 
Außer dem spezifischen Giftstoffe ist nun freilich zur Entstehung der Krankheit 
auch noch das Vorhandensein einer besondern Empfänglichkeit nothwendig. 
Worin freilich diese Empfänglichkeit besteht, läßt sich derzeit n v ch n i ch t so genau 
angeben. Im Allgemeinen zweifle ich aber nicht, daß die Jäger'sche Anschau 
ung, wonach eine wasserhaltige Constitution für alle derartigen Erkrankungen 
eine höhere Empfänglichkeit besitzt, Manches für sich hat. Jndirect mag des 
halb auch die O i d t m a n n 'sche Vermuthung, daß schlechtes mulstriges Brod 
die Krankheit erzeuge, ein Körnchen Wahrheit enthalten. Die dirccte alleinige 
Ursache kann aber das schlechte Brod nicht sein, weil sonst Vegetarianer-Kinder, 
die mit ungesäuertem Brode ernährt werden, nicht daran erkranken sollten. 
Und doch weiß ich, abgesehen von der Erkrankung meiner eigenen Kinder, ein 
Beispiel, wo ein sonst gesunder und kräftiger Vegetarianer-Knabe, der Sohn 
des Rechtsanwalt F. hier, innerhalb einiger Jahre gegen 20 Mal und darunter 
thcilweise schwer, an der Diphtheritis erkrankt ist. Ich selbst suche deshalb 
aus Grund meiner Erfahrungen die Empfänglichkeit für diese Krankheit haupt 
sächlich in der krankhaften Beschaffenheit der Schleimhaut 
des Halses. So erkläre ich mir die auffallende Thatsache, daß Kinder bis 
gegen das erste Lebensjahr von der Krankheit verschont bleiben, hauptsächlich 
dadurch, daß deren Schleimhaut im Halse im Allgemeinen noch unversehrt ist. 
Aeltere Kinder erkranken dagegen unter zutreffenden Verhältnissen fast aus 
nahmslos an der Krankheit, weil bekanntlich bei allen Kindern durch den Auf 
enthalt in der staubigen Zimmcrluft die Schleimhaut des Halses mehr oder 
weniger aufgelockert ist, und so dem Eindringen der Pilze einen guten Nistplatz 
bietet. Ich sah wenigstens die sonst gesündesten Kinder an Diphtheritis er 
kranken, ohne Rücksicht darauf, ob sie vegetarisch oder nicht vegetarisch 
ernährt, geimpft oder nicht geimpft, jägerisch oder nicht jägerisch gekleidet, 
überhaupt in schlechten oder guten Verhältnissen waren. Als Beweis für die 
örtliche Empfänglichkeit betrachte ich vor Allem aber meine eigene 
erstmalige Erkrankung an Diphtheritis. Ich kam mehre Jahre lang 
fast täglich mit solchen Kranken in die engste Berührung, ohne jemals 
selbst davon befallen zu werden. Da hatte ich einen schweren Typhus durch 
zumachen, und holte mir in der Reconvalcscenz, trotzdem daß ich mich sonst 
wieder gekräftigt fühlte, bei meinen ersten Besuchen bei Diphtheritis-Kranken 
die Krankheit. Jetzt konnten die Giftkcime bei mir leicht Fuß fassen, da meine 
Schleimhaut des Halses vom Typhus her noch erkrankt war, und so eine be 
queme Ablagestätte für die Diphthcritis-Pilze abgab. Eben deshalb vergesell 
schaftet sich auch so häufig Diphtheritis mit Scharlach, weil auch hier Die 
Schleimhaut des Halses erkrankt ist und so den etwa vorhandenen Diphtheri- 
tis-Keimen eine bequeme Brutstätte darbietet. Eben daher rührt cs auch, daß, 
wer einmal Diphtheritis durchgemacht hat, eine erhöhte Empfänglichkeit für 
diese Krankheit zurückbchält. Im Zusammenhang mit dieser Anschauung erkläre
	        
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