Volltext: Der Naturarzt 1880 (1880)

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Zur Vekleidungsfrage. 
Gedanken über die sog. Normalkleidung von Prof. Jäger resp. dessen 
wollene Kleider- und Bettrevolution. 
Vvn Eduard Wcchsslcr. 
Chor der Jäger und Jägerinnen: 
Was gleicht wohl aus Erden dem Jägervergnügen, 
Wem sprudelt das Leben so wonnig und reich? 
Der Satiriker Spitzer spottet: „Wir leben in dem Zeitalter der Watte, der 
Baumwolle, des Gummi und der amerikanischen Zahnärzte", — er hätte kecklich 
hinzusetzen dürfen: und des Flanell! Zur selben Zeit, wo in Paris das 
kalte Wasser in der Mode ist, wo Herren und Damen auf scharfem Roß durch 
den Bouloguer Wald jagen, um sich daheim mit kaltem Wasser übergießen und 
frottiren zu lassen, steht im wackern Schwabenlande der Weizen des Professor 
vr. G u st a v I ä g e r in schönster Blüthe. Von den ewig fröstelnden, mit 
Fleisch und Alkohol so trefflich gestärkten Karnivorenleiberu sucht Einer 
um den Andern die künstliche Wollhaut auf; unter den Hygieinikern 
aber glänzt I ä g e r 's Name jedenfalls als ein Unicum, indem er seine Jünger 
mit keiner Silbe nach ihren Lebensgewohnheiten fragt oder gar sie 
darin stört. Der Feinschmecker tafelt mit Seelenruhe weiter, der Raucher, der 
Bier- und Weinhausbruder, nicht zu vergessen die Kaffeeschwester, sie alle sind 
in der Ausübung ihrer Lieblingsneigungen in keiner Weise gestört. Ohne 
Ansehen der Person verspricht er jedem „Wollenen", wofern er nicht ein 
Stückchen Baumwoll- oder Leinenfaser als Futterstoff, mit Angst düsten 
geschwängert, an sich trägt, gesunden Leib und ein frohes Gemüth. Jeder 
Jägersmann und jede Jägerin „mit schlauem Sinn", sie halten also scharfe 
Wache, daß ihre Kleidung nicht mit Baumwollfaden, Leinenzwirn oder Seide 
genäht sei, sie auch kein Stückchen Papier oder gar einen Brief (dessen Papier 
aus Leinenfaser fabrizirt ist) bei sich tragen, denn ein einziger solcher Umstand 
würde den ganzen übrigen Vortheil illusorisch machen! 
Nur ein einziger diätetischer Ausspruch von Jäger ist mir be 
kannt, der mir freilich etwas kurios vorkommt und, wie ich meine, alle Vege 
tarier, die an der Leimruthe des neuen Gesundhcitapostels festgeklebt sitzen, arg 
verschnupfen muß. Er sagt, wenn eine Epidemie im Anzuge sei, so solle man 
seine Speisen brav würzen und pfeffern, heiße geistige Getränke, als da 
sind Punsch, Grog, Schnäpse, gewürzte Weine und starken, recht heißen Kaffee 
oder Thee genießen. Nach seiner Meinung sollen dieselben das Blut nicht, 
wie ich geglaubt hätte, nach den Verdauungsorganen, sondern nach der Haut 
treiben, was mir viel wahrscheinlicher geschienen hätte, wenn er seine Jünger 
statt von innen, von außen eingepfeffert hätte. Also, wackrer Deutscher, 
sitzest Du bis an die Ohren in der Wolle, wirfst auf Deine L-peisen einige 
Messerspitzen Paprika, trinkst tüchtig Glühwein dazu, dann brauchst Du Dich 
vor dem Teufel nicht mehr zu fürchten und wenn er in Gestalt der Cholera 
daherkäme! 
Was sagt denn der Vegetarier zu alle dem? Er, der seither geglaubt hatte, 
daß die Menschenhaut auf Widerstandsfähigkeit gegen äußere Einflüsse construirt 
sei und daß jede nicht geübte Kraft erlahme, er hatte d'rum sein Netz 
hemd erfunden, um seine Haut mit einer Luftschichte zu umgeben und Lu st 
und Wasserbäder waren ihm selbstverständlich. Jäger aber sieht in Luft 
und Wasser feindliche Elemente, sogar das Waschen des Körpers ist ihm 
etwas Ueberflüssiges, da das Wvllhemd auch die gute Eigenschaft besitze, den
	        
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