Volltext: Sechstes Bändchen (6. 1916)

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Hoamatland. 
 
In wem weckt nicht dieses traumklingende Wort vom Herzen kommende Ge- 
fühle tiefwurzelnder Erinnerungen! 
Wer denkt da nicht zurück an die schönen und hellen Tage, an die seligen 
Stunden der Kinderzeit, die uns goldigste und uubetrübteste Lebensfreude atmen 
ließen —! An die Zeit, wo uns Schlummerlieder leise zum Schlafe einwiegten 
und wir, von ewig aufopfernder Mutterhand gepflegt, rasch und frisch heran- 
wuchsen, wo unser Kindermund zum ersteumale das Vorgebetete „Vater unser" 
nachstammelte und die ersten wackeren Gehversuche zur größten Freude und Zu- 
friedenheit der Eltern ausfielen! — An die Zeit, wo wir, mit Schultasche und 
allerhand frohen Aufmunterungen ansgerüstet, in eine neue Lebensphase traten, 
auf der Schulbank saßen und denken und arbeiten lernen mußten, um uns für 
das Leben vorzubereiten. 
O Kinderzeit, goldigste Zeit der Erinnerung! Jede Tür, jeder Tisch, jeder 
Raum in dem Hause, wo wir Jahr um Jahr aus- und eintollten, lebten und 
schliefen, jeder Baum, jeder Strauch, jedes Flecklein Erde, auf dem wir herum- 
tummelten und jeder Stein, der unser harmloses Spielzeug war, waren uns so 
heimisch und traut, fast alte liebe Bekannte. — Kein Weg, den wir liefen, keine 
Wiese, auf deren buntgefärbtem Teppich wir Blumen pflückten und den schillernden, 
von Blume zu Blume gaukelnden Faltern nachjagten, kein Wald, in dem wir 
uns unter schattigen, duftenden Nadelbäumen ausruhten und zum großen, weiten, 
blauen Aether emporblickten und die Vögel, die summenden Bienen und Käfer und 
das zahme Wild unsere munteren, lustigen Freunde waren, waren uns unbekannt. 
Kein Bach, an dem wir nicht an taufrischem Morgen standen und durchs 
spiegelklare, helle Wasser dem munteren Treiben der Forellen zusahen. Kein 
Garten, keine Bank, wo wir nicht herumtummelten, uns Geschichten erzählten und 
unsere kräftigen, hellen Jugendstimmen emporschallen ließen und wo wir zur 
Winterszeit über schneebedeckte Hänge blitzschnell herabtollten und uns gegenseitig 
mit großem Eifer und auch mitunter Geschick mit Schneeballen bewarfen. 
Frohe, unvergeßliche Tage in der Heimat! Wer könnte sie vergessen? Als 
wir aus der Schule heraustraten, um der frohen Kinderzeit „Lebwohl" zu sagen, 
um hinauszuziehen in die Welt, ins Leben und sürs Leben. Da hieß es dann 
Abschied nehmen von allem Lieben, Trauten, den blühenden Wiesen und grünen- 
den Wäldern, von allen Freunden und Bekannten, die einem ein herzliches „Viel 
Glück" zuriefen. 
Als uns dann unser liebes Mütterlein noch ein letztes Kreuz über die 
Stirne machte und uns beim Abschied mit verweinten Augen noch zuflüsterte: 
„Bua, sei brav und mach' ma koan Schand". 
Wer wäre da nicht mit schweren Herzen und einer Abschiedsträne im Auge 
hinausgezogen von der Wiege, seiner lieben trauten Heimat, die ihm mehr als 
ein Teil seines Herzens war. 
Und nun draußen in der weiten Fremde, wo es ringen heißt um das Leben, 
da findet man dann erst, was uns die goldene Kinderzeit in der Heimat war. 
Geht man dann nach angestrengten müden Tagen und Stunden einmal 
hinaus in die Natur, atmet froher und freier auf und findet sie sehr schön und 
fast anheimelnd, dann schwebt uns immer das Bild unserer lieben Heimat vor 
Augen, die wir niemals vergessen können. 
„Ja", sagt man sich dann, „da is schen und lüfti, aber so schen wia 
dahoam is halt do nöt!" —
	        
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