Volltext: Das Feuerwerkbuch von 1420

Dem gleichen Zweck dient ein, jedoch nur auf kurze Entfernungen wirkender „Flammen¬ 
werfer 6 (94), der aus einem Blasrohr besteht, nach Art der schon von Marcus Graecus 
erwähnten „Römerkerze44 wirkt und von der Kraft der Lungen abhängig ist. Pumpen 
dafür sind erst der heutigen Zeit Vorbehalten gewesen. 
Daß auch die Leuchtspurgeschosse und die besonders bei Belagerungen gut zu verwen¬ 
denden, mit der Hand zur Erhellung des Vorgeländes hinauszuwerfenden Leuchtkugeln 
keine Erfindung der Neuzeit sind, darüber belehrt das Feuerwerkbuch in gleicher Weise 
(68, 71). 
Auch das Vernebeln (70) war damals bereits bekannt, wenn auch nur in sehr einfacher 
und unzureichender Form. Man warf Feuer und Rauch entwickelnde Ballen in der Größe 
eines Apfels von der belagerten Stadt aus gegen die Stürmenden an derjenigen Stelle der 
Mauer, wo man ein Verteidigungsgeschütz in Stellung gebracht und abgefeuert hatte. Im 
Schutze des Rauches konnte dieses alsdann wieder in Ruhe geladen werden. 
Eine besondere Schießart, die hauptsächlich gegen anrückende Heerhaufen und auf har¬ 
tem Boden ihre Schuldigkeit tat, bediente sich der mehrfach aufspringenden Kugel (65). 
Man nannte das, als man das Feuerwerkbuch längst vergessen hatte und dieses neue Schie¬ 
ßen im 18. Jahrhundert von Frankreich und seinem „Erfinder44 Vauban (1688) übernahm, 
Ricochetieren. 
Eine Anlehnung an die alten „Donnerbüchsen44, die Vorläufer der Geschütze, die nicht 
den Zweck hatten, mit einer wohlgezielten Kugel Tod und Verderben zu verbreiten, son¬ 
dern, genau wie in China und im Morgenland, die Reihen der Pferde und Elefanten mit 
ihrem donnerähnlichen Krachen in Verwirrung zu bringen, auf die damals noch sehr 
empfindlichen Nerven von Tier und Mensch zu wirken und panikartigen Schrecken zu 
erregen, bedeutet die hier gegebene Lehre über die „überlauten66 Schüsse (77). Dieselbe 
Wirkung erzielten hinsichtlich des Angst einjagenden Geräusches schon Marcus Graecus 
und Albertus Magnus mit ihrem scharfen Knallpulver (6:2:1), jetzt tritt als Fortschritt 
noch die dem Feind nach dem Leben trachtende Kugel hinzu. Was heute Stukas mit ihrem 
nervenzermürbenden Absturzgeräusch, ohrenbetäubenden Sirenengeheul und donnern¬ 
dem Bombeneinschlag bewirken, das war damals der überlaute Kanonenschuß. Die Kampf¬ 
mittel sind in ihrem Wesen seit 500 Jahren dieselben geblieben, allein ihre Formen haben 
sich geändert, entsprechend den andersartig gewordenen, nur noch auf stärkere Reize 
reagierenden Menschen. 
Ein ähnliches Bild zeigen auch die Vorschriften über „sichere Schüsse66 (78): Gleichmäßige 
Stärke und Treibkraft des Pulvers, richtiges Ladungsverhältnis, sorgfältiges Laden und 
Zielen, sachgemäß festes Lagern des Geschützes in der Waagerechten und Lotrechten — 
alles Forderungen, ohne deren Erfüllung auch heute gleichbleibend sichere Schüsse nicht 
abgegeben werden können, allerdings mit dem Unterschied, daß dem modernen Krieger 
im Felde viele der dazu notwendigen Arbeiten vorher durch den im Konstruktionssaal 
und in der Werkstatt arbeitenden Techniker abgenommen oder doch erheblich erleichtert 
worden sind. 
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