Volltext: Das Feuerwerkbuch von 1420

schwindigkeit imprimiren können, oder auf was Weise wird es ihre Bewegung vermehren 
oder helfen, daß der einmal imprimirte Motus die Kugel nicht verlasse?'4 
Und sogar der Direktor der sardinischen Artillerieschule d’Antoni brachte seinen Schü¬ 
lern um eine noch spätere Zeit nicht viel höher stehende Vorstellungen über die Natur 
des Feuers bei1: „Das Feuer ist ein flüssiges Wesen, das aus verschiedenen kleinen Teilen 
zusammengesetzt ist. Diese sind in jedem Körper vorhanden und bewegen sich beständig, 
wenn auch nicht immer mit derselben Geschwindigkeit.64 
Hiernach ist es durchaus anerkennenswert, daß der Verfasser des Feuerwerkbuches, der 
bei seinem Faßexperiment die gemeinsame Ursache von Treib- und Sprengwirkung er¬ 
kannte, aber die erste mit unseren Kenntnissen grundlegend übereinstimmende Theorie 
über die Pulverexplosion und ihre Ursachen von Biringuccio noch nicht kennen konnte, 
die Treibwirkung dem „Dunst44 zuschreibt, dem Gas, von dem damals weder der Name 
noch die daraus erwachsenden, ungeheueren Kräfte bekannt waren. 
Biringuccio (1480—-1539) sprach es als erster aus2: Die Treibwirkung beruhe auf der 
plötzlichen Entwicklung einer Dampfmenge, die einen über tausendfach größeren Raum¬ 
inhalt hat als das Pulver; und der Berliner Professor Halle faßte 1772 seine Kenntnisse 
so zusammen3: Die Luft im Pulver sei 800mal dichter als in der Atmosphäre. Nach Euler 
sei dann ihre Ausdehnungskraft 1200 mal größer und werde durch Wärme noch um das 
3- oder 4fache erhöht, so daß sie etwa 5000 mal größer sei als in der Atmosphäre. „Man 
weiß aber noch nicht, warum im Salze des Salpeters so eine große Menge Luft eingemischt 
ist und warum sich diese Luft nur von einer Schwefelflamme entzündet. Der Mensch kann 
höchstens die Luft nur um 16 mal verdichten, die Natur verdichtet sie dagegen im Salpe¬ 
ter 800 mal.44 
Jedenfalls brachte erst das 17. Jahrhundert mit maßgebender Hilfe auch der deutschen 
Gelehrten Kepler und Leibniz die Neugeburt der Naturwissenschaften und die Abkehr 
von der Vorstellungswelt des Aristoteles. 
Diese tritt noch klar in Erscheinung bei der Antwort auf die zweite Frage: Die polare 
Gegensätzlichkeit von Salpeter und Schwefel (ebenso wie von gutem und schlechterem 
Pulver, neunte Frage!) löse beim Zutritt von Feuer (Kohle) die nutzbringende Kraft aus. 
Mit der dritten Frage kommt sodann der reine Praktiker zum Wort: Nur 3A des leeren 
Raumes des Pulversackes (d. i. 3/s seiner Gesamtlänge) soll geladen werden. V4 bleibt leer 
(vgl. hierzu auch Abschn. 61 und das Bild 25). Hier liegt offenbar dieselbe richtige Er¬ 
kenntnis zugrunde, wie sie zu dem später behandelten und bis heute gebräuchlichen ge¬ 
körnten Pulver geführt hat, bei dem in weiterer Entwicklung jedes Korn vom andern 
durch einen Luftraum getrennt ist. Das fest zusammengepreßte, den ganzen Laderaum 
füllende Mehlpulver hätte sich zu langsam entzündet und die Kugel schon aus dem Rohr 
1 Papacino d’Antoni, Sr, Kgl. Majestät in Sardinien Direkteur der theoretischen Schulen der Artillerie u. Fortification, Physika¬ 
lisch-mathematische Grundsätze der Artillerie, übersetzt von G. F. Tempelhoff, K. Pr. Lieutenant b. d. Feld-Artillerie-Corps, Ber¬ 
lin 1768. 2 Johannsen, Beitr. z. Gesch. d. Technik u. Ind., 1926, S. 160; Biringuccio, Pirotechnia, S. 485. 3 Halle, Werkstätte der 
heutigen Künste, 1772, S. 331. 
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