Volltext: Graf Stefan Tisza

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klaren Blick für tiefere Zusammenhänge und drohende 
Gefahren. Still zu lenken, die Widerstände sachte zu beseitigen, 
die Seelen seinem Konzept gefügig zu stimmen, versteht er 
nicht, 
In Erweiterung von Vaihingers „Als ob “-Theorie ließe 
sich behaupten, daß nicht nur die Wissenschaft, sondern auch 
die Politik auf einer Anzahl von Fiktionen beruht. Es gibt 
Staatsmänner, die mit diesen Fiktionen geschickt zu jonglieren, 
sie für ihre jeweiligen Zwecke zu nutzen wissen. Tisza glaubt 
an die erlösende Macht solcher politischen Fiktionen. Das Par¬ 
lament ist ihm ein Heiligtum, es ist in seiner Vorstellung das 
Volk selbst, das durch das Parlament spricht. Doch eben des¬ 
halb, weil das Volk das entscheidende Wort zu sprechen hat, 
fühlt er sich bemüßigt, der Volksstimme Maß und Grenzen zu 
setzen. Will aber das Volk nicht behandelt, umschmeichelt 
werden? Zweifellos hat Tisza die Grenzen des Wahlrechts zu 
eng und ängstlich bemessen, die: Möglihkeit, Ungarn von der 
Weltströmung zu isolieren, überschätzt. Ein Staatsmann, der 
hundertfach verweigert, (muß hundertfach versprechen können, 
wenn er die Elemente nicht gegen sich herausfordern will. 
Tisza aber verspricht nur, was er hält. Und im Bereiche des 
Wahlrechts will er nur wenig halten. 'So verkündet er denn 
viel zu oft und viel zu laut Reehtseinsehränkungen dem Volk, 
an dessen Gefolgschaft er appelliert. Aus diesen Einschrän¬ 
kungen aber werden bei Nationalitäten, Arbeitern, Staats¬ 
bürgern zweiter Güte Waffen gegen ihn geschmiedet, die sich 
im Endeffekt gegen Ungarn kehren. Der Staatsmann Tisza, der 
sein Vaterland vor den wirklichen oder vermeintlichen 
Gefahren des allgemeinen Wahlrechts aus Leibeskräften 
schützen zu müssen glaubt, der Puritaner, der seine Bedenken 
gegen die Massenherrschaft in einem Zeitalter, da die ganze 
Welt das Gegenteil verkündet, frank und frei äußert, trägt die 
Keime seiner tragischen Vollendung in sich.
	        
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