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Das Ende der französischen Offensivpläne.
funden hatte. Dies und die Schwierigkeiten der Ersatzlage forderten ver°
mehrte Ausstattung mit Artillerie, Maschinengewehren und Tanks.
Unterdessen hatten sich die inneren Verhältnisse im Heere
in einer Richtung entwickelt, die seinen Einsatz zum Angriff vorerst aus-
schloß, ja teilweise sogar seine Abwehrbereitschaft fraglich erscheinen ließ.
Schon Anfang 1916 hatte pazifistische Propaganda mit Druckschriften
und Zeitungen für die Beendigung des Krieges zu wirken begonnen. Im
Februar 1917 hatte General Nivelle den Kriegsminister darauf hinweisen
müssen, daß internationale Revolutionäre, Anarchisten und Arbeitersyndikate
in wesentlich gesteigertem Maße bemüht seien, durch Wort und Tat, durch
Streiks und Sabotage die Kriegführung lahm zu legen. Da der Innen-
minister Malvy diesen Kreisen politisch nahestand, wurde gegen ihr Treiben
nicht viel unternommen. An der Front machten sich die Wirkungen zunächst
nur wenig bemerkbar. Erst die Erschöpfung des gesamten Heeresorganismus
durch die große Offensive, vollends die Enttäuschung über den Mißerfolg,
hohe Verluste und angeblich unzulängliche ärztliche Vorkehrungen brachten
einen Umschwung und ließen die Nachrichten der Zeitungen und Flugblätter
in anderem Lichte erscheinen, die in Lazaretten, Ruhequartieren und Unter-
ständen von Hand zu Hand gingen. Die Soldaten wollten nicht mehr dafür
bluten, daß die Regierung annexionistische Ziele erreiche, und vollends nicht,
damit England die deutsche Konkurrenz los würde. Aber auch das Vertrauen
zu den Generalen war erschüttert.
Mai. Am 4. Mai ereignete sich bei zwei Regimentern einer Kolonial-Division,
die tags darauf am Großangriff teilnehmen sollte, der erste schwere Fall ge¬
meinsamer Weigerung, in die Gräben zu gehen. Mit dem Rufe: „Nieder mit
dem Kriege! Tod den Verantwortlichen!" zogen die Meuterer durch die
Straßen, ließen sich aber durch gütliches Zureden ihrer Offiziere wenigstens
dazu bereden, die Gräben zu besetzen. Beim Angriff dagegen mußten in Eile
herangeführte Kavallerie-Regimenter sie ersetzen'). Vierzehn Tage später
schlug die Flamme des Aufruhrs cm allen Ecken und Enden empor, und in
kürzester Zeit war die gesamte Front bis in die ruhigsten Teile des Elsaß
angesteckt. Alle Grade der Widersetzlichkeit traten in Erscheinung, von leich¬
teren Fällen angefangen, bei denen die Offiziere mit Achtung behandelt
und nur die Beteiligung an Angriffsunternehmungen abgelehnt wurde, bis
zu revolutionären Kundgebungen mit schweren Sabotageakten, offener
Meuterei und Ermordung von Vorgesetzten.
Am gefährlichsten gestaltete sich die Lage in der Nähe der Hauptstadt.
Ein in Soissons liegendes Regiment schlug einen Regimentsarzt nieder,
i) Vgl. S. 362.