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Das Ende der französischen Offensivpläne.
Mi«« Mat. Mit General Rivelle trat eine Persönlichkeit von der militärischen
Bühne ab, deren Bedeutung trotz aller Umstrittenheit seiner operativen
Gedanken und der Art, wie er sie durchsetzte, nicht verkannt werden darf. Bei
Kriegsbeginn noch Führer eines Artillerie-Regiments hatte er als Ab-
schnittskommandeur vor Verdun durch die Energie seiner Kampfführung
aller Augen auf sich gezogen, so daß er am 1. Mai 1916 an Stelle des zum
Heeresgruppenführer ernannten Generals Petain an die Spitze der Armee
von Verdun gestellt worden war. Hier wurde der Erfolg seiner Abwehr um
so sichtbarer, je mehr der deutsche Angriffsschwung erlahmte. Die außer¬
ordentlichen Erfolge der aufs genaueste vorbereiteten großen Gegenangriffe
vom 24. Oktober und 15. Dezember ließen ihn nach dem Kräfte verzehrenden,
aber operativ ergebnislosen Ringen an der Somme als den General er-
scheinen, der endlich den Weg zum Durchbruch im Stellungskrieg gefunden
habe, und damit als die geeignetste Persönlichkeit zur Übernahme des obersten
Befehls. Mit seiner jugendlichen, soldatischen Erscheinung, seiner Energie,
seinem Selbstvertrauen, nicht zum wenigsten mit der Beherrschung des
Wortes und der Eindringlichkeit seiner Beweisführung schien er alle dafür
erforderlichen Eigenschaften zu besitzen. So war er am 26. Dezember 1916
Oberbefehlshaber über die Armeen in Frankreich geworden.
Die militärische Lage brachte es mit sich, daß ihm in dieser Stellung von
Anfang an ein höheres Maß von Einfluß zufiel, als es selbst Marschall
Ioffre besessen hatte. Aber die neue Stellung verlangte neben der Ve-
herrschung des weitgespannten militärischen Gebietes Vorsicht im Umgang
mit der Volksvertretung, Takt in der Behandlung der Verbündeten sowie
ein hohes Maß von innerer Überlegenheit gegenüber den größtenteils dienst-
älteren Heeresgruppen- und Armeeführern. Stellung und Aufgabe waren
unendlich viel schwieriger als die Armeeführung vor Verdun und wurden
durch das hinter dem Rücken des Obersten Befehlshabers stattfindende Zu-
sammenspiel seiner Unterführer mit Vertretern der Regierung nicht erleich-
tert. General Rivelle ist mit Tatkraft und Selbstvertrauen an seine Aufgabe
herangegangen und würde sich behauptet haben, wenn er mit seinem Angriffs-
verfahren nur einigermaßen Erfolg gehabt hätte. Sein Irrtum war, daß er
glaubte, die im Herbst bei Verdun angewandte Angriffsart ein halbes Jahr
später unter wesentlich veränderten Kampfbedingungen') wieder anwenden zu
können, und daß er die berechtigten Bedenken und Zweifel der Unterführer
wie der eigenen Regierung entschieden zurückwies. So konnte er nicht mehr an
der Spitze des Heeres bleiben, als seine Offensive unter ungeheuren Verlusten
steckengeblieben war. Seine Rolle als Heerführer war ausgespielt. Erst unter
der Regierung Elemeneeau ist er in Nordafrika wieder verwendet worden.
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