Feldmarschall von Conrad.
499
er die Dinge nicht so sah, wie sie waren, sondern wie er sie sich wünschte,
womit seine geistvollen Operationsvorschläge nicht selten unausführbar
blieben. Die Tiroler Offensive des Jahres 1916 ließ sich mit der im
Osten übernommenen Aufgabe nicht vereinbaren, sofern nicht deutsche Hilfe
in Aussicht stand. Da General von Falkenhayn diese abgelehnt hatte,
ging das Unternehmen über die Kraft und schuf die Voraussetzungen für
die Katastrophe von Luek.
Auch für das Frühjahr 1917 hat sich der Feldmarschall nur schwer
damit abgefunden, in der Abwehr bleiben zu müssen. „Der Gedanke, die
Entscheidung bis auf weiteres den Unterseebooten auf hoher See allein zu
überlasten, lag dem entschlußfrohen, tatkräftigen Feldherrn allzu fern"').
Er hat aber auf Angriff zu Lande nicht gedrängt, denn auch er konnte sich
der Erkenntnis nicht verschließen, daß die erst in der zweiten Maihälfte
mögliche Offensive gegen Italien zu spät kommen würde, um auf die Cnt-
schlüfse der Gegner noch Einfluß zu üben. Man mußte wohl oder übel
zunächst in der Abwehr bleiben.
Mit dem Wechsel des österreichisch-ungarischen Generalstabschefs schied
ein bedeutender Soldat von der Stätte langjährigen Wirkens. Deutscher-
seits hat man seinen Abgang aufrichtig bedauert. Er war ein Mann von
kerndeutscher Gesinnung, aber auch ein Führer mit Feldherrneigenschaften
und nach übereinstimmendem Urteil von Freund und Feind der beste Mann,
den Österreich-Ungarn an die Spitze seines Heeres zu stellen hatte.
b) Die Frage des Verhaltens an der Westfront.
Karten 2, 2 a und 3.
Für den Westen hatte die Denkschrift des Majors Wetzell vom
2t). Dezembers eindeutig Abwehr als Aufgabe für das Frühjahr 1917 aus- 20. Dezember,
gesprochen, wie das nach der Gesamtlage auch nicht anders möglich war.
Von einer Ausnutzung der auf Befehl der Obersten Heeresleitung seit Sep-
tember im Ausbau begriffenen großen rückwärtigen Stellungen, von denen
aber bisher nur die Anlage der Siegfried-Stellung entscheidende Fortschritte
gemacht hatte, war in der Denkschrift mit keinem Wort die Rede'), viel-
mehr wurde „Vollbesitz unserer gesamten Stellung" als Ziel genannt.
Von dieser Aussastung scheint eine vom Oberstleutnant Bauer, dem
Chef der Operationsabteilung II, entworfene, an die beiden Heeresgruppen
') Österr. amtl. Werk, Vd. VI, S. 9.
-) S. 491.
3) Als am 11. Dezember Gen. von Kühl zum Vortrag über die Lage an der
Somme-Front in Pleß weilte, hatte Gen. Ludendorff bezüglich der Siegfried-Stellung
erklärt, „sie sei nur als Sicherheitskoeffizient gedacht und ein Zurückgehen in sie sei
nicht beabsichtigt" (Kronprinz Rupprecht, Kriegstagebuch, Vd. II, S. 70).
32*