Operation aus Schlesien oder über den Narew?
403
sondern auch die preußischen Provinzen Schlesien und Posen bedrohten.
Diese Gefahr schätzte man zwar beim Oberkommando der deutschen 8. Armee
einstweilen nicht sehr hoch ein. Wenn aber die Rarew-Operation nicht mehr
möglich war und die Unterstützung des verbündeten Heeres — wie es der
Fall zu sein schien — sich nicht mehr länger aufschieben ließ, dann mußte sie
von Schlesien und Posen aus erfolgen. So fragte Generalmajor Luden-
dorff, als Generalstabschef der 8. Armee, am Abend des 10. September
— noch ohne Kenntnis von der veränderten Lage im Westen — bei der
Obersten Heeresleitung an, ob für eine in Schlesien zu bildende Armee auf
weitere Verstärkungen zu rechnen sei. Aus Ostpreußen, das aus mili-
Mischen und wirtschaftlichen Gründen gehalten werden mußte, könnten zwei
Armeekorps abgegeben werden. Am 11. September wurde von der in
östlicher Richtung verfolgenden 8. Armee als erster Teil die Hauptreserve
der Festung Posen angehalten; sie sollte an die Ostgrenze der Provinz
Posen zurückbefördert und nach Polen hinein vorgeschoben werden.
Inzwischen war an der galizifchen Front die Entscheidung zuungunsten
der Verbündeten gefallen; damit wurde deutsche Hilfe dort noch dringender.
Am 11. September hatte das ganze österreichisch-ungarische Heer den Rück-
zug begonnen; der Oberbefehlshaber, Erzherzog Friedrich, wollte den Geg-
ner nunmehr zunächst am San abwehren^). Hinter diesem von Natur
starken Abschnitt konnte er hoffen, gestützt auf die große Festung Pschemysl
und die behelfsmäßig ausgebauten Brückenköpfe von Iaroslau und Sieni-
awa, die russische Übermacht mindestens vorübergehend aufzuhalten und
die eigenen Truppen neu zu ordnen. Von einer deutschen Operation über
den Narew versprach sich aber die verbündete Heeresleitung unter den
veränderten Verhältnissen keine rechtzeitige Wirkung mehr. Sie sah jetzt in
der unmittelbaren Unterstützung durch Antransport deutscher Truppen nach
Galizien die einzig mögliche Hilfe und wurde in diesem Sinne bei der
deutschen Obersten Heeresleitung vorstellig. Der Bevollmächtigte deutsche
General im österreichisch-ungarischen Hauptquartier, Generalleutnant Frei-
hm V. Freytag-Loringhoven, der schon vorher den Wunsch der Verbündeten
auf Zuführung aktiver deutscher Truppen nach Galizien unterstützt hatte,
schloß sich dieser Auffassung in. einer Drahtung an die Oberste Heeresleitung
vom 12. September an.
Vei der deutschen 8. Armee aber hatte sich die Auffassung darüber, wie >2. septemv-r.
den Verbündeten zu helfen fei, inzwischen geändert; denn der Erfolg über
die russische Rjemen-Armee zeigte sich doch weit größer, als man am
10- September angenommen hatte. Von dieser feindlichen Armee war für
die nächste Zeit nicht mehr viel zu befürchten, und die in den letzten Tagen
*) Heeresbefehl vom 11. September 1914, Conrad IV, S. 702.