Verluste bei Freund und Feind
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schlichen durch die Reihen, Pferdeleichen lagen zu Tausenden auf den
polnischen Wegen, unzählige Kraftwagen waren zugrunde gerichtet wor¬
den, und die Wiederherstellung von Bahnen, Straßen und Brücken kostete
viel Zeit und erforderte ein ungeheures, wertvolles Material, das zu
Kriegszwecken in fremder Erde verscharrt werden mußte. Dünn und
dünner wurde die Kampffront, denn die Etappe verschlang immer zahl¬
reichere Kräfte. Die Kämpfer selbst waren müde und abgehetzt, un¬
genügend verpflegt und von brütender Sonne, von klatschenden Regen¬
güssen und erstickenden Sandstürmen hart mitgenommen."
Die Verluste, die das öst.-ung. Nordheer in den vier Feldzugs¬
monaten seit Gorlice erlitten hatte, beliefen sich an Toten, Verwundeten
und Gefangenen auf etwa eine halbe Million Mann.
Da war es nun sicherlich zu erklären, wenn die Kunst des Manövers
schließlich zu kurz kam, und der Krieg in verhältnismäßig einfachen
Formen über die Wälder, Sandhügel und Sumpflandschaften Polens und
Wolhyniens hinwegrollte. Die Russen zogen daraus freilich erheblichen
Vorteil. Die noch zu Anfang Juli weit gegen Westen vorgeschobene Mitte
des Zarenheeres konnte zurückgenommen werden, ohne daß trotz der
schweren Schläge die Front irgendwo riß. Der Bogen verflachte sich,
bis schließlich die russische Schlachtordnung nach der Einnahme von Brest-
Litowsk in einer nahezu geraden, meridional gerichteten Linie verlief.
Wohl hatten die Russen seit Beginn des Monats Mai 100.000 Mann durch
Tod, über eine halbe Million durch Verwundung und Erkrankung und
mindestens ebensoviel durch Gefangennahme1) sowie über 2600 Geschütze,
1950 Maschinengewehre und eine Unmasse von Kriegsgerät verloren.
Von diesen Einbußen traf das russische Heer der Verlust an Waffen und
Kriegsgerät besonders schwer, da man bei deren Ersatz zum großen Teil
auf die Hilfe der Alliierten angewiesen war. Dagegen standen für die
Auffüllung der Stände noch immer fast unerschöpfliche Menschen¬
reserven zur Verfügung. Auch hatten die Russen ihren Befehls- und Erhal¬
tungsapparat im großen unversehrt zu retten vermocht, da den Heeren
der Mittelmächte die Abschnürung ganzer Armeen versagt geblieben war.
Solcherart lastete das Problem des russischen Krieges, an dem ein
Jahrhundert früher der Kriegsruhm eines Napoleon zerschellt war, noch
!) Rußland im Weltkriege 1914/18 in Ziffern, herausgegeben vom statist. Zen¬
tralbureau (in russischer Sprache, Moskau 1925), 30. — Diese Veröffentlichung gibt
die Zahl der in Gefangenschaft geratenen Soldaten mit 457.288 Mann an — im Gegen¬
satz zu den Angaben der Verbündeten, nach denen 1,007.332 Russen gefangenge¬
nommen wurden.