Heerführung und Nachrichtenmittel
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gefordert, daß deren Ausharren bei den geringen artilleristischen Mitteln
sehr fraglich geworden wäre. Auch ist es nicht zu leugnen, daß manche
Heereskörper eine größere Empfindlichkeit gegen Flankenangriffe auf¬
wiesen und daher zu Umgehungsmanövern weniger geeignet waren.
Gewiß brachte dieses Maßhalten in den Kampfzielen die Führung das
eine- oder anderemal um eine glänzende Erfolgsmöglichkeit. Doch ist
ein wirkliches „Cannae" im Geiste Schlieffens auch von der deutschen
Armee im Weltkriege nur ein einziges Mal, bei Tannenberg, mit Erfolg
geschlagen worden.
Das ungünstige Kräfteverhältnis, das Fehlen eines ausreichenden ar¬
tilleristischen Rückgrates und die Unterschätzung kräftesparender Ab¬
wehr hatten wohl auch eine zweite Erscheinung im Gefolge : daß es trotz
der zweifellos bestehenden theoretischen Erkenntnis nur selten gelang,
im entscheidenden Räume ein Höchstmaß an Kräften zu entscheidendem
Handeln zusammenzuziehen. Die Schlachten gewannen vielfach das Bild,
das Jahre vor Kriegsbeginn der damalige k. u. k. Gstbsobst. v. Csicserics1)
auf Grund seiner persönlichen Erfahrungen im russisch-japanischen Krieg
entworfen hatte.
Was die Kenntnis der Lage beim Feinde anbelangt, so litt der erste
Feldzug im Norden stark unter der geringen Einschätzung, die man den
gegen Ostgalizien vorgehenden russischen Kräften zuteil werden ließ.
Bald aber eröffnete das Abhorchen und Entziffern russischer Funksprüche
der Führung aller Grade ein Nachrichtenmittel von unübertrefflichem
Werte. Der Radiohorchdienst2), der die Karten der Russen fast immer
in einem den weitesten Ansprüchen genügenden Ausmaße und nicht selten
früher als für ihre eigenen Führer aufdeckte, wog für die Verbündeten
— das darf ohne Übertreibung gesagt werden — Armeen auf. Der in
früheren Kriegen so wichtige Kundschaftsdienst trat diesem Nachrichten¬
mittel gegenüber um so mehr beinahe ganz in den Hintergrund, als gerade
Ausforschungen operativer Natur meist viel zu spät eingelangt wären.
Ebenso erzielten strategische Luft- und Kavallerieaufklärung, jene vor
allem wegen des Mangels an geeigneten Flugzeugen, nicht im entferntesten
das, was der Radiohorchdienst einbrachte. In der Gefechtsberührung wurden
die Ergebnisse der strategischen Erkundung durch die Einvernahme von
Überläufern und Gefangenen wertvoll ergänzt, so daß sich ein bis ins
einzelne ziemlich getreues Bild über die Lage beim Feind ergab. Der
1) Csicserics, Die Schlacht (Wien 1908).
2) Über Entstehung und Geschichte des Radiohorchdienstes vgl. Ronge, Kriegs¬
und Handelsspionage (Wien 1930), 52 f.