Volltext: Almanach der feinen Küche

Die Mahlzeit, wie sie sein soll 
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gibt es einen tieferen Grund dafür, der uns hier in erster Linie an 
geht — die Freuden der Tafel, zu denen Muße, Vorfreude, Genuß in 
gleicher Weise beitragen. Hierbei hat die Köchin ein Wort mitzu 
reden, denn manche Gerichte können nicht warten, während es die 
Gäste vernünftiger Weise können. Und wenn unser Menü, wie es 
der Fall sein sollte, darauf abgestellt ist, ein besonderes Gericht zu 
umrahmen, muß das Aufträgen dieses Gerichtes andächtig durch 
eine wirkungsvolle Pause vorbereitet werden, die sowohl unserer Ver 
dauung als auch unserem Genuß zugute kommt. 
Es erscheint, angekündigt von einem köstlichen Duft, nun sehen 
wir es und das Wasser läuft uns vor freudiger Erwartung im Munde 
zusammen. Das ist das einzige gesittete Verhalten bei Tisch. Wir 
müssen die Riten des Kultes — des Kultes der Muße befolgen. 
Hören wir dazu wieder Brillat-Savarin: „Nehmt den Akt des 
Verzehrens bedächtig vor, denn das Diner ist das letzte Geschäft 
des Tages, und betrachtet euch als Reisegenossen, die sich auf dem 
Wege zu einem gemeinsamen Ziel befinden.“ 
Dagegen sind „lange“ Mahlzeiten in einem anderen Sinn end 
gültig aus der Mode, und Diners von zehn Gängen werden nur 
noch bei besonderen, mehr oder minder offiziellen Gelegenheiten 
serviert, bei denen Gastronomie nur eine geringe Rolle spielt. Da 
sind alle Gerichte ausgeklügelt, geputzt, garniert und so maskiert, 
daß niemand mehr feststellen kann, ob das Ragout fin aus Huhn oder 
aus Salm gemacht ist, und die spärlichen Gemüse sind so wenig 
der Jahreszeit gemäß (und daher ohne Geschmack), daß man sich 
fragt, ob es schon diesjährige Frühgemüse oder noch vorjährige 
aus der Büchse sind. 
Von dieser Art Kocherei ist hier natürlich nicht die Rede. 
Uebrigens ist darüber längst alles gesagt worden. Eine Autorität 
auf diesem Gebiet ist zum Beispiel Thomas Walker, dessen reizen 
des Buch „The Art of Dining“ (Die Kunst des Essens) lange Zeit 
vergriffen war. „Unser Hauptstreben“, sagt dieser gelehrte Richter, 
„sollte sein, sich daran zu gewöhnen, nur an den eigentlichen Sinn 
des Essens zu denken und bei einer Angelegenheit, die unsere Gesund 
heit und unser Vergnügen betrifft, jedes Verlangen nach Aufwand 
und Prunk auszuschalten.“ Er hatte strenge, gesunde und amüsante
	        
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