Die digitale Landesbibliothek Oberösterreich

Die Mahlzeit, 
wie sie sein soll 
„Die Freude am Essen“, sagt Brillat-Savarin, „haben wir mit den 
Tieren gemein. Sie setzt lediglich Hunger, und was zu seiner Be 
friedigung notwendig ist, voraus. Die Freuden der Tafel dagegen 
sind nur der menschlichen Gattung eigen. Sie erfordern Sorgfalt bei 
der Bereitung des Mahls, bei der Bestimmung des Ortes und bei der 
Wahl der Gäste. Die Freude am Essen bedingt, wenn nicht Hunger, 
so doch Appetit. Die Freuden der Tafel sind von beiden fast immer 
unabhängig.“ 
Jene Zeiten waren vor allem gemächliche Zeiten. Tempo gab es 
nicht, und der Fortschritt hatte noch nicht den Grad erreicht, wo 
er die Zivilisation hemmt. Die Zivilisation ist stolz auf ihre 
Leistungsfähigkeit, aber die Leistungsfähigkeit kann mißgeleitet 
sein. Es ist natürlich eine wunderbare Sache, daß man ein erträg 
liches Essen in einem Speisewagen haben kann, und wir müssen die 
Geschicklichkeit aller Beteiligten bewundern. Der Koch bereitet bei 
spielsweise zwischen Köln und Paris drei Mittagessen, die Kellner 
servieren dreimal hineinander, fast ohne etwas in dem schlenkern 
den Wagen zu verschütten, jede Mahlzeit dauert dreiviertel Stunde 
und jeder bekommt reichlich zu essen. Ja, sogar ein Aperitif, Kaffee 
und Liköre werden in dieser kurzen Zeit mit Nachdruck angeboten. 
Das ist alles sehr nützlich, löblich und tüchtig, aber ist es auch er 
freulich? Es ist ebenfalls bewundernswert, daß man während der 
zwanzig Minuten, die der Zug in irgendeiner abgelegenen Station hält, 
am Büfett für ein paar Pfennige einen Imbiß haben kann. Derartige 
Mahlzeiten stillen den Hunger, aber diese „Abfütterung“ hat nichts 
mit „geschmackvollem Essen“ zu tun. 
Eine richtige Mahlzeit sollte mindestens anderthalb Stunden 
dauern. Abgesehen davon, daß es ungesund ist, schnell zu essen,