Volltext: Almanach der feinen Küche

Lehrreiche Geschichten vom Essen 
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gebadet, erwachte er aus grausigen Alpdrücken... diese Sorge, diese 
Angst vergiftete seine Tage. Plötzlich — warum war er denn nicht 
längst auf diesen Gedanken gekommen? 
Ja, richtig, das war der Ausweg, das war die Rettung. Er würde 
sie heiraten und sie damit gesetzlich an sich fesseln. Sie fühlte sich 
geschmeichelt und willigte ein. Es folgte eine Art kulinarischer 
Flitterwochen, die sich teils in der Küche, teils im Speisezimmer ab 
spielten. Alles verlief glänzend, angefangen von der Trauung, bei 
der sie einen Strauß aus Petersilie, Thymian, Majoran, jungen 
Zwiebeln und Lorbeerblättern trug. Ein paar Tage waren sie über 
glücklich, dann erklärte sie plötzlich, sie habe eine Köchin ange 
stellt. Nun, da sie die Herrin sei, wolle sie nichts mehr mit dem 
Kochen zu tun haben. So sind die Frauen! 
Den Aermsten rührte fast der Schlag. Er bat und flehte, sie aber 
blieb hart. Die neue Köchin war jämmerlich. Kurz darauf starb er 
vor Gram. (Oder war es an verdorbenem Magen?) An reinem Greuel 
schlägt diese Geschichte, meiner Meinung nach, die verhängnisvollste 
griechische Tragödie zu steifem Schnee. Dabei enthält sie alle 
Elemente wirklichen Lebens. 
Die dritte Geschichte, die ich erzählen möchte, ist noch weit 
ungewöhnlicher. Sie enthält eine so seltsame Mischung von Romantik, 
Realismus und Ironie, daß sie einen wunderbaren Vorwurf für einen 
Roman abgeben könnte. Ich möchte sie im Stile Arnold Bennetts 
oder H. G. Wells’ behandelt sehen und das Leben ihrer Helden von 
den ersten Anfängen bis zu dem unentrinnbaren Schluß in schöner 
Weitschweifigkeit und mit einer Fülle auserlesener Einzelzüge be 
schrieben haben. 
Und was für einen Roman oder vielmehr, was für eine lange 
Kurzgeschichte in der Art von „The Sacred Fount“ („Die Heilige 
Quelle“) hätte erst Henry James daraus gemacht! Er hätte die Be 
gegnung, die Wiedervereinigung minutiös, liebevoll, mit subtilen Kom 
mata und reichhaltigen Klammern beschrieben, und diese Szene, die 
vielleicht eine Stunde dauert, hätte das ganze Buch ausgemacht. 
Alles wäre auf klare und überraschende Weise aus ihr hervorge 
gangen, die Vorgeschichte, die Gegenwart, die Zukunft, von allen 
Seiten beleuchtet, angedeutet, durchforscht, erläutert, ergründet. 
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